Zirkusshow im Dezember 2021 in St. Petersburg
Bildrechte: Alexander Demianchuk/Picture Alliance

Clown Natalya Maikhrovskaya

    Putin sorgt sich um Zirkus: "Rede noch mal ihnen, okay?"

    Die Manege ist dem russischen Präsidenten offenbar besonders wichtig: Jetzt forderte er seine Kulturministerin dazu auf, nach Ersatz für den Cirque du Soleil zu suchen. Unterdessen hängt im Russischen Staatszirkus der Haussegen gehörig schief.

    Die russische Kulturministerin Olga Lyubimova (41) machte einen unverzeihlichen Fehler, als sie Präsident Putin auf dessen Aufforderung hin am 25. Juli über die aktuelle Lage der Zirkus-Branche informierte: Sie benutzte in irgendeinem Zusammenhang das Wort "rückläufig", so das Wirtschaftsblatt "Kommersant" mit sehr ironischem Unterton. Das ließ Putin nicht ruhen, zumal der kanadische Cirque du Soleil, der in der ganzen Welt Shows unterhält, wegen der Corona-Pandemie zwischenzeitlich pleite ging. Mittlerweile ist die Firma zwar wieder flott, doch die ursprünglich für 2022 in Moskau angekündigte Show "Corteo" findet offenbar nicht statt.

    Lyubimova behauptete jedenfalls, den Cirque du Soleil gebe es nicht mehr. Putin quittierte das mit der Aufforderung: "Nun existiert der du Soleil nicht mehr, wie Sie sagen. Dann haben wir vielleicht ein paar neue Formen - hier bieten die Veranstalter der Zirkuskunst doch alle möglichen Alternativen. Sprechen Sie bitte nochmal mit ihnen, okay?"

    Putin: "Nötige Atmosphäre schaffen"

    Allerdings verwies Lyubimova darauf, dass ihre erste Sorge derzeit dem Staatszirkus gelte, der sei jetzt am wichtigsten, man konzentriere sich "nur auf ihn". Dessen materielle und technische Basis müsse gestärkt werden. Wie wichtig den Machthabern im Kreml die Showbranche offenbar ist, zeigt die Tatsache, dass das Thema nach einer Debatte über die Gewinnung und internationale Vermarktung der Edelgase Neon, Krypton und Xenon stattfand.

    Nachher widmete sich Putin der Krise der Luftfahrt. Sehr bemerkenswert, dass er zwischendurch Zeit fand, den Zirkus anzusprechen: "Es ist unabdingbar, dass sie die nötige Atmosphäre schaffen! Heute ist das besonders notwendig!" Anscheinend bezog sich Putin damit auf die schlechte Stimmung wegen der Kriegslage und erhofft sich von den Artisten einen emotionalen Aufschwung beim Publikum.

    Zirkuschef wettert gegen "nackte Paraden"

    Edgard Walterowitsch Sapaschny (46), der Chef des Großen Moskauer Staatszirkus, beschwerte sich kürzlich in einem Interview darüber, dass ihm bei seinen 3.300 Sitzplätzen die Touristen fehlen und Tourneen derzeit nicht mal nach China und Nordkorea Tourneen möglich seien. Allerdings lobte er den Berliner Friedrichstadt-Palast, der weiter mit seinem Unternehmen zusammenarbeite. "Wir haben uns seit mehreren Jahren nicht mehr mit Wladimir Wladimirowitsch Putin getroffen", jammerte Sapaschny: "Zuerst das Coronavirus, dann der spezielle Militäreinsatz, daher kann ich ihm gegenüber nicht alle Probleme äußern. Aber ich möchte wirklich gehört werden."

    Natürlich unterstützt der Zirkus-Funktionär den Angriffskrieg, mit der Begründung, Putin gehe es darum, nicht das Schicksal von Stalin zu erleiden, also seinerseits überfallen zu werden. Und einen Krieg der Werte will der aus Jalta stammende Edgard Sapaschny auch erkennen: "Ich verstehe nicht, wie es in der modernen Gesellschaft normal wird, irgendwelche Paraden nackt abzuhalten. Ich spreche nicht von schwulen Paraden, sondern von Radtouren und Marathonläufen. Das wird zur Normalität. Der Sondereinsatz zeigte einfach unsere Haltung zu allen strittigen Dingen. Krieg ist schließlich nicht nur, wenn Bomben fliegen, sondern auch, wenn es anderen Menschen gelingt, ihre Werte bei uns zu propagieren."

    Belegschaft: "Gesetzlosigkeit und Willkür" im Staatszirkus

    Beim Großen Russischen Staatszirkus, nicht zu verwechseln mit dem Moskauer, brennt derweil die Luft. Die Belegschaft wandte sich in einem Offenen Brief an Ministerpräsident Mischustin. Demnach ist das Betriebsklima miserabel, der Direktor Sergej Beljakow habe im vergangenen Jahr 300 Mitarbeiter gefeuert. Die Rede ist von "Gesetzlosigkeit, Willkür, Korruption und illegalen Handlungen", Beljakow wirtschafte nur in die eigene Tasche und veruntreue Subventionen.

    "Es werden keine neuen Kostüme für die Künstler angefertigt, die Anschaffung neuer Tiere und die Herstellung von Requisiten werden nicht gefördert", so die protestierenden Künstler: "Für die Artisten des russischen Zirkus werden materiell und technisch unerträgliche Arbeitsbedingungen geschaffen. Das breit angekündigte und aus dem Bundeshaushalt finanzierte Programm zur Sanierung von Gebäuden der dem Russischen Staatszirkus unterstellten Kultureinrichtungen gerät zusehends ins Stocken."

    Drohung mit Abwanderung ins Ausland

    Rund siebzig Künstler hätten mangels Arbeit im Lande schon Angebote aus dem Ausland erhalten, es stehe eine "massenhafte" Abwanderung bevor: "Die von der derzeitigen Führung des russischen Staatszirkus verfolgte Politik führt dazu, dass die besten Profis der russischen Zirkuskunst, Meister von Weltrang, ohne Erwerbstätigkeit und ohne Existenzgrundlage bleiben. So eine kriminelle Gesetzlosigkeit hat es in der Zirkusbranche noch nie gegeben!"

    Beljakow hatte sich kürzlich enttäuscht darüber geäußert, dass das berühmte Zirkusfestival von Monte Carlo für die 45. Ausgabe im Januar 2023 keine russischen Artisten einladen will: "Wir dachten, dass unsere Kunst keine Grenzen kennt."

    Die BR KulturBühne – ein Platz für Konzerte, Events, Debatten und auch großes Vergnügen. Hier geht's lang!

    Aktuelle Debatten, neue Filme und Ausstellungen, aufregende Musik und Vorführungen... In unserem kulturWelt-Podcast sprechen wir täglich über das, was die Welt der Kultur bewegt. Hier abonnieren!