Arbeiter steht vor einem beschrifteten weißen Rohr
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Eröffnung der Öl-Pipeline von Kasachstan zum Schwarzen Meer

    Psychotrick: Öl-Krieg zwischen Russland und Kasachstan eskaliert

    "Natürlich" bleibe Kasachstan ein "freundliches" Land, so Kreml-Sprecher Peskow, doch gleichzeitig blockiert Russland Öllieferungen von dort nach Westen, und es kam zu einer bisher ungeklärten Explosion. Putin demonstriert offenbar seine Macht.

    Freunde von Psychotricks und Geheimdienstspekulationen haben jetzt ein dankbares Gesprächsthema: Kaum hatte der kasachische Präsident Qassym-Schomart Tokajew dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, am vergangenen Montag angeboten, der EU mit Öllieferungen auszuhelfen und sein diesbezügliches Potential als "Puffer zwischen West und Ost" zu nutzen, kam es an einer Förderstätte auf Kasachstans größtem Ölfeld aus bisher ungeklärten Gründen zu einer Explosion. Laut russischer Nachrichtenagentur Interfax sind zwei Todesopfer zu beklagen.

    Gleichzeitig setzte ein russisches Gericht den Betrieb der Kaspischen Pipeline aus, über die das kasachische Öl ans Schwarze Meer transportiert wird. Angeblich wurden "Umweltverstöße" aufgedeckt. Die Rede war von "hydroakustischen und magnetischen" Signalen im Wasser. Ukrainische Medien wollen darin "Putins Rache" erkennen, russische Portale sprachen von einem "Vergeltungsschritt".

    Peskow: "Natürlich, natürlich"

    Unterdessen beteuerte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow laut Nachrichtenagentur TASS treuherzig, es seien keine Entscheidungen getroffen worden, um Kasachstan zu bestrafen, ganz im Gegenteil: "Es wird die unbedingte Absicht erklärt, unsere Zusammenarbeit weiter auszubauen, gemeinsam auf Herausforderungen zu reagieren, die von außen kommen, und die Folgen dieser unfreundlichen Aktionen zu minimieren. Davon gehen wir aus." Und auf die Frage, ob Kasachstan noch ein "freundliches" Land sei, kam die Antwort: "Natürlich, natürlich."

    Der russische Ministerpräsident Michail Mischustin hatte am 4. Juli ähnlich "süßholzraspelnd" gesagt: "Wir betrachten die weitere Festigung der Freundschaft und Partnerschaft mit Kasachstan als unbedingte Priorität. Unsere Zusammenarbeit hat sich im Laufe der Zeit bewährt und hat wiederholt ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Herausforderungen bewiesen."

    Das alles ist schon deshalb unglaubwürdig, weil die Stimmung zwischen Putin und Tokajew bei einem persönlichen Zusammentreffen in St. Petersburg sehr gereizt war und der russische Präsident seinen Gast wohl mit voller Absicht ständig falsch anredete. Tokajew stellte bei der Gelegenheit leicht angesäuert klar, dass sein Land die selbst ernannten Donbass-Republiken nicht anerkennen werde. Außerdem weigert sich Kasachstan, Exporte nach Russland zu erlauben, mit denen die vom Westen ausgesprochenen Sanktionen umgangen werden könnten.

    Sogar der Iran will Russland unterbieten

    In Moskau wird unterstellt, Kasachstan, elftgrößter Ölproduzent der Welt, und die anderen zentralasiatischen Länder fürchteten selbst Sanktionen und seien deshalb mehr daran interessiert, Handelsrouten von China in den Westen unter Umgehung Russlands einzurichten. Ein Besuch Putins im turkmenischen Aschgabat hat die dort Versammelten zentralasiatischen Machthaber, die "Kaspischen Fünf", nicht sonderlich beeindruckt. Sie gelten allesamt aus so naheliegenden wie eigennützigen Gründen als entschiedene Gegner des Angriffskriegs auf die Ukraine.

    Sogar der Iran ist sich nicht zu schade, den russischen Ölpreis beim Großkunden China zu unterbieten, um den Kreml auszustechen. Das grenzt den Kreis der "Freunde" Russlands doch erheblich ein. Im Netz behauptete einer der zahlreichen Diskutanten der neuesten Vorgänge, Russland habe überhaupt nur "Vasallen und Feinde". Und angesichts der Tatsache, dass Kasachstan eine rund 1.800 Kilometer gemeinsame Grenze mit China habe, werde Moskau wohl gleichzeitig Peking vor den Kopf stoßen, wenn es Tokajew gegen sich aufbringe. Chinas Xi Jinping lehnte einen Besuch bei Putin ja kürzlich mit der Ausrede ab, die Covid-Pandemie lasse das nicht zu.

    "Ja, er ist ein überzeugter Verbündeter"

    Für Irritationen in Kasachstan und darüber hinaus sorgen einzelne nationalistische Duma-Abgeordnete, die am 1. Juli einen Gesetzentwurf einbrachten, wonach Russland sich Territorien anderer Staaten in "gegenseitigem Einvernehmen" ohne großen Aufwand einverleiben könnte, "wenn die Mehrheit ihrer Bürger der russischen Kultur und dem Erbe der Russen nahe" stünden. Das zielte natürlich auf die Ukraine, aber auch auf alle anderen ehemaligen Mitgliedsstaaten der UdSSR.

    Offiziell freilich sagte Tokajew in einem Interview mit "Bloomberg" über sein Verhältnis zu Putin: "Ja, er ist ein überzeugter Verbündeter Kasachstans. Als Präsident meines Landes bin ich sehr glücklich, eine enge Beziehung zu Putin zu haben. Für uns muss es so sein." Mit Russland gebe es "keine Probleme". Allerdings sind die Reaktionen der Kasachen in den sozialen Netzwerken auf Putins Angriffskrieg alles andere als verständnisvoll. Die kasachische Regierung beriet bereits darüber, wie die "negativen Folgen" der Pipeline-Sperre minimiert werden können.

    Tokajew in schwieriger Lage

    Ein halbes Jahr nach den Aufständen unzufriedener Bürger, die auch mit Hilfe russischer Truppen niedergeschlagen wurden, findet sich Tokajew, der seinen Vorgänger Nasabarjew und dessen Clan entmachtet hat, in einer äußerst schwierigen Lage wieder: "Er wird zwischen zwei Lagern balancieren müssen, sonst wird er entweder mit der Gesellschaft aneinander geraten oder die Unterstützung des Regierungsapparats verlieren. Vielleicht wird in dieser Konfrontation genau das System der Checks and Balances geboren, das wir jetzt brauchen", so die Expertin karlygash Ezhenova vom kasachischen Portal "Exclusive". Andere sehen sogar ein "Zeitfenster" für demokratische Reformen in Kasachstan geöffnet - allerdings könne es jeden Moment wieder "zuschlagen".

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