Es zieht einen hinein in diese Häuser, man möchte sie sofort betreten, sie erleben und erkunden. Wie etwa das über dem Grund schwebende Institute for Indology in Ahmedabad, das in seinen klaren geometrischen Formen wirkt, als habe es Le Corbusier entworfen. Oder die Prembhai Hall, ebenfalls in Ahmedabad, die in ihrem kantigen Beton-Brutalismus von dem großen Louis Kahn inspiriert sein könnte. Oder die unterirdische Kunstgalerie Amdavad Ni Gufa, deren Kuppeln nur knapp über dem Boden sitzen und die darunter dann in einen Wald mit baumartigen Stützen einlädt.
Häuser wie lebende Organismen
Balkrishna Doshi vergleicht Gebäude gerne mit lebenden Organismen. Im Idealfall würden sie zum zweiten Körper unserer Seele, sagte er bei der jährlichen Architecture Lecture in der Londoner Royal Academy. Dort treten in der Regel Architekten auf, die als nächstes den Pritzker Preis gewinnen werden oder ihn gerade gewonnen haben. Doshi war vergangenen September dort, schon 90jährig, ein ungemein vital wirkender und geistig wacher Baumeister, der erzählte, wie er im leicht chaotischen, vielgestaltigen Haus einer Schreinerfamilie in Pune aufwuch. Dort habe er Toleranz, Gemeinschaft, Menschlichkeit und Großzügigkeit gelernt, Dinge, die er später in seine Architektur übertrug.
Assistent von Le Corbusier
Geboren 1927 war Balkrishna Doshi in den fünfziger Jahren Assistent des französischen Architekten Le Corbusier. Der war damals von der Regierung des indischen Bundesstaates Punjab beauftragt worden, die neue Hauptstadt Chandigarh zu bauen. Weitere Projekte führten ihn dann nach Ahmedabad. Dort übernahm Balkrishna Doshi bei vier von Le Corbusier entworfenen Industriellen-Villen die Bauleitung. Danach blieb er in der Stadt, eröffnete dort sein eigenes Architekturbüro und plante als erstes eine Wohnsiedlung für Textilarbeiter.
Fließende Grenzen zwischen Natur und Architektur
Doshis Ansatz als Baumeister ist ganzheitlich. In seiner Empathie für die künftigen Bewohner seiner Häuser führt er die Lehren von Le Corbusier fort – und gibt sein Wissen inzwischen an viele Architektur-Studenten in Indien weiter, etwa wenn er sie in Bangalore durch das von ihm entworfene Indian Institute of Management führt, einen weit verzweigten, zweistöckigen Komplex, der ohne Türen auskommt. Die Grenzen zwischen Landschaft und Architektur sind fließend. Bisweilen wirkt es, als habe die Natur das Gebäude erobert, weil der dichte Pflanzenbewuchs vieles verdeckt, fast wie bei einer versunkenen Stadt im Urwald.
Soziale Durchmischung
Wer ein gutes Gebäude betritt, geht auf eine Reise, die ihn verändern wird, glaubt Balkrishna Doshi. Architektur sei im Idealfall eine Art Wanderung durch die eigene Seele.
Doshis Architekturstil vereint biomorphe mit streng geometrischen Formen. Sein höchstes Ziel ist dabei die soziale Durchmischung, wie bei der seit 1989 entwickelten Siedlung Aranya Low Cost Housing in Indore, wo es von einfachen bis zu luxuriösen Wohnungen alles gibt. Diese Variabilität hat dem Architekten, der fast ausschließlich in Indien baut, den Pritzker Preis eingebracht – und das absolut verdient.