Bildrechte: dpa
Bildbeitrag

Let´s Eat Grandma

Bildbeitrag
> Kultur >

Pop aus Norwich: "Let´s Eat Grandma" ist "ganz Ohr"

Pop aus Norwich: "Let´s Eat Grandma" ist "ganz Ohr"

Sie gelten als "Elfen-Zwillinge" aus dem britischen Norwich und leiden unter diesem Etikett. Außerdem müssen sie sich frauenfeindlicher Kritiker erwehren, die nicht glauben wollen, dass sie solche Musik zustande bringen. Von Matthias Scherer.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Zutiefst unheimlich" - so schrieb der britische Guardian über "I, Gemini", das erste Album von "Let’s Eat Grandma". Es erschien 2016 und provozierte extreme Reaktionen - sowohl positive als auch negative. "Let’s Eat Grandma" ist eine Pop-Band aus Norwich in England, die aus zwei jungen Frauen besteht und deren Kritiker in ihren Rezensionen oft misogyne Untertöne mitschwingen ließen, á la: “Schwer zu glauben, dass zwei Mädchen solche Musik schreiben können”. "I’m All Ears", das neue Album von "Let’s Eat Grandma", zeige eine beeindruckende musikalische Weiterentwicklung und werde die Zweifler endgültig zum Schweigen bringen, sagt Matthias Scherer

Etikett der "Elfen-Zwillinge"

Ihren ersten gemeinsamen Song schrieben Rosie Walton und Jenny Hollingworth, als sie zehn Jahre alt waren. Er handelte von einem für Kinder höchst relevanten Thema - der Langeweile - und statt Gitarre oder Klavier waren die Hauptinstrumente Maracas und Glöckchen. Als sechs Jahre später ihr Debütalbum erschien, bekamen sie von der Presse wegen ihrer identischen Outfits und ihrer noch sehr folk-lastigen Arrangements das Etikette "Elfen-Zwillinge" aufgedrückt – obwohl sie nicht einmal verwandt sind. Auf dem Nachfolger "I’m All Ears" machen sich Let’s Eat Grandma frei von diesen Schubladen und bewegen sich konsequent an den Grenzen dessen, was das Mainstream-Publikum unter "Pop" versteht.

Mit Fingerschnipsen unterlegt

Dabei sind sie manchmal lärmig, manchmal brachial, aber niemals dissonant oder willkürlich sperrig. Tatsächlich finden sich auf "I’m All Ears" auch mehrere lupenreine Hits, wie zum Beispiel das mit Fingerschnipsen unterlegte "It’s Not Just Me” oder der Song "Falling Into Me", der im letzten Drittel von melancholischer Ballade zu einem clubtauglichen Stampfer mutiert.

Instagram ist ihnen zuwider

Der fette, vielschichtige Sound auf "I’m All Ears" kommt nicht von ungefähr. 2017 belegten Walton und Hollingworth in ihrer Schule einen Audioproduktions-Kurs, in dem sie lernten, mit Aufnahme-Software umzugehen. Diese neuen Fähigkeiten wandten sie sofort an: Anstatt wie früher mit Gitarre und analogen Perkussionsinstrumenten, arrangierten "Let’s Eat Grandma" ihre neuen Songs fast ausschließlich am Computer. Hier entsteht ein spannender Widerspruch: sie bedienen sich moderner Technologie, um sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen. So wohl sich Walton und Hollingworth mit Audio-Software fühlen, so zuwider ist ihnen die "Always-On"-Kultur von Smartphones und die Oberflächlichkeit von Sozialen Medien wie Instagram. Damit sind sie, zumindest in ihrer Altersgruppe, eine Seltenheit. 

Geschärftes Ohr für Song-Strukturen

Die Songs auf dem ersten "Let’s Eat Grandma"-Album "I, Gemini" entstanden, als Walton und Hollingworth 14 Jahre alt waren – und klingen dementsprechend unpoliert und manchmal maßlos. Damals schon drang aber ebenfalls ein beeindruckender Mut zum Experiment durch. Diesen Spaß am Ausprobieren haben sich die zwei Musikerinnen beibehalten, und um ein geschärftes Ohr für Songstrukturen und ein gestärktes Selbstbewusstsein erweitert - wenn sie für den Song "Falling Into Me" mehr als ein Dutzend Refrains ausprobieren mussten, dann taten sie das eben.

Futuristisch, melodisch, progressiv

 "I’m All Ears" heißt zu deutsch: "Ich bin ganz Ohr". Und das sollte man bei "Let’s Eat Grandmas" zweitem Album unbedingt sein - denn hier wird Popmusik gemacht, die futuristisch, melodisch, progressiv und unterhaltsam gleichzeitig ist. Walton und Hollingworth sind jetzt gerade mal 20 Jahre alt – man darf mehr als gespannt sein, in welche Richtung sich ihr Sound als nächstes entwickeln wird.