Was für Zeiten! Ein Dichter ruft mit erhobener Faust am 22. Dezember 1989 im Fernsehen die rumänische Revolution aus, verkündet den Sturz des Diktators. Für einen kurzen Moment regiert die Poesie. "ich bin dynamit / ich explodiere glücklich", diese Zeilen hatte er damals gerade erst auf Deutsch veröffentlicht, im Gedichtband "Exil im Pfefferkorn", dem 1990 der Band "Ein Maulkorb fürs Gras" folgte, voller surrealistischer Metaphern und ungebärdigem Sprachwitz. "eine kleine thermozentrale, beheizt von den mündern der dummen, / wäre heut ein profitables geschäft", schrieb er etwa in der Übersetzung Werner Söllners im Gedicht "demokratie der natur".
In den dreißig Jahren, die seither vergangen sind, ist der Lyriker Mircea Dinescu verstummt. Ein wortstarker Dissident freilich ist er geblieben, er, dessen Gedichte sich bis 1989 unter der Hand hunderttausendfach verbreitet hatten, weshalb er es war, der seinerzeit in Radio und Fernsehen die Entmachtung des Conducators Nicolae Ceaușescu ausgerufen hatte. Noch heute kennt in Rumänien, durchaus ungewöhnlich für einen Poeten, nahezu jeder Mircea Dinescu.
Gedenken an die rumänische Revolution von 1989 in Temeswar: Mircea Dinescu war als Intellektueller maßgeblich an den Ereignissen beteiligt.
Selbst wenn es um Tomaten geht: Seine Stimme hat Gewicht
"Ja, ich bin wohl eine populäre Figur in Rumänien", sagt er über sich. Aber manchmal habe diese Popularität natürlich auch Aspekte, die ihn durchaus erschreckten. "Bei einem Fernsehauftritt habe ich beiläufig und ohne mir dessen recht bewusst gewesen zu sein, gesagt, die holländischen Tomaten nach der Revolution hätten sämtliche rumänischen Märkte überschwemmt. Diese Tomaten, sagte ich nur ganz am Rande, seien blass und völlig geschmacklos. Ich habe mich also lustig gemacht darüber, dass die Leute Tomaten kaufen, die gar nicht schmecken. Tags darauf war ich auf dem Markt und die Händler sind bestürzt zu mir gekommen und haben mich gefragt, was ich da bloß angerichtet hätte: 'Die Leute kaufen keine holländischen Tomaten mehr!' Lyriker scheinen in Rumänien recht bedeutsam zu sein, wenn es ihnen sogar gelingt, den Handel mit holländischen Tomaten auf den Kopf zu stellen."
Mit Mircea Dinescu, der ein exzellenter Koch ist, kann man sehr gut essen und vom Hausherrn selbst gebrannten Pflaumenschnaps trinken. Seit vielen Jahren betreibt er fern von Bukarest, im ehemaligen Getreidehafen von Cetate, direkt an der Donau, einen "Kulturhafen". Außerdem ist er ein durchaus erfolgreicher Winzer und er hat 1991 das bis heute existierende Satire-Magazin Academia Cațavencu aus der Taufe gehoben. Eine Wochenzeitschrift, die so wie "Le Canard enchaîné" in Frankreich, auch immer wieder Fälle politischer Korruption aufdeckt.
Mircea Dinescu hat in dieser Zeitschrift eine Kolumne und übt sich darin wöchentlich als Pamphletist. So weit entfernt sei das, was er heute mache, gar nicht von seiner Poesie, sagt er, allerdings brauche es Übung, Gedichte vorsichtig zu entschlüsseln: "Diese Art Poesie enthielt Andeutungen einer politischen Haltung, der ich zugeordnet wurde und für die ich bekannt war. Man konnte ein Held werden, wenn man ein subversives Gedicht schrieb. Poesie als Waffe. Im allgemeinen ist Poesie in einer kapitalistischen Welt keine Waffe. In der rumänischen Konsumgesellschaft, die der in Südamerika ähnelt, wären die Politiker vermutlich froh, wenn ich Poesie schreiben und nur ein paar persönliche Illusionen liefern könnte. Also habe ich die Waffen gewechselt und mich für das Schreiben richtungsweisender Pamphlete entschieden. Ich bin nicht dazu da, den Politikern das Leben leichter zu machen."
Die rumänische Revolution von 1989: Aktivisten 1989 auf einem Panzer in Temeswar
Poesie existiert auch im Mix der Gewürze für eine Mahlzeit
Beim jungen Mircea Dinescu, dachte man, als man ihn vor 30 Jahren traf, an einen Satz Ossip Mandelstams: "Poesie ist wie ein Pflug, der die Zeit in einer Weise aufreißt, dass ihre Tiefenschichten, ihre Schwarzerde zutage tritt." In gewisser Weise trifft dieser Satz auch auf den nun 70-jährigen Biobauern Dinescu zu, der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Kochshow moderiert, in der es auch immer um Politik geht, was schon ihr Titel anzeigt. Sie heißt "Politik und Delikatessen". Mircea Dinescu sagt dazu: "Poesie muss nicht zu Papier gebracht werden. Sie kann in verschiedensten Formen und Medien existieren. Auch im Zusammenspiel der Gewürze für eine Mahlzeit oder in der Poesie des Weines. Die von mir verfasste Poesie wurde, denke ich, durch diese Aktivitäten bereichert."
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