Papier ist seit Monaten teure Mangelware. Und zwar nicht das Klopapier, wie manche Hamsterer meinen, sondern vor allem das sogenannte grafische Papier, das für Bücher, Zeitungen oder den Drucker im Büro gedacht ist. Das hat vor allem für Zeitungs- und Buchverlage enorme Konsequenzen, weil hier die Gewinnmargen ohnehin schon knapp sind.
Dieser Mangel an Papier und seine Verteuerung hat kurz gesagt vier Gründe: Corona, die gestiegenen Energiepreise, das Einkaufsverhalten der Menschen und der Mangel an Altpapier. Manche Gründe sind aktueller Natur, andere entwickeln sich schon seit Jahren. Und sie greifen auf komplexe Art ineinander.
Grund 1: Die Coronakrise
Ein wichtiger Rohstoff für Papier ist Zellstoff, das sind chemisch aufgeweichte Holzfasern. Ein Großteil davon wird importiert, zum Beispiel aus Brasilien. Aber durch die weltweite Corona-Krise sind auch hier die Lieferketten zusammengebrochen. Außerdem ist der Transport durch die gestiegenen Energiepreise teurer geworden. Dass die Ukraine und Russland wichtige Zellstofflieferanten sind, könnte den Papiermangel in den nächsten Monaten noch verschärfen.
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Außerdem wurde während der Lockdowns deutlich weniger grafisches Papier gebraucht, weil Menschen nicht mehr ins Büro gingen und somit weniger ausdruckten und weil weniger Flyer für Veranstaltungen, Werbeprospekte oder Kataloge gebraucht wurden. Die Geschäfte und Kiosks, die Zeitungen verkaufen, waren während der Lockdowns zeitweise geschlossen. Also haben die Papierhersteller ihre Kapazitäten heruntergefahren.
Grund 2: Einkaufsverhalten
In der Folge haben sie ihre Maschinen vermehrt auf Verpackungspapier und Pappe umgestellt. Ein Prozess, der ohnehin schon seit Jahren im Gang ist, weil die Menschen weniger Zeitung lesen und mehr im Internet einkaufen, also auch mehr Verpackungen für Pakete brauchen. Außerdem ist der Verkauf von Verpackungspapier für die Hersteller rentabler.
Der Zeitungsabsatz geht aber schon seit Jahren zurück: Laut dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden sank die Produktion von Druck- und Zeitungspapier seit 2012 um 32 Prozent. Nach den Corona-Lockdowns wollten die Menschen dann wieder eine echte Zeitung in der Hand halten und auch Bücher kaufen. Doch so schnell kann die Papierindustrie nicht reagieren. Papier wurde Mangelware.
Grund 3: Mangel an Altpapier
Wer weniger Zeitung liest, wirft auch weniger Altpapier in die Tonne. Altpapier ist aber ein wesentlicher Rohstoff für grafisches Papier: Es wird zu fast 80 Prozent aus Altpapier gemacht. Ein Teufelskreis.
Grund 4: Gestiegene Energiepreise
Papier herzustellen braucht sehr viel Energie: 2020 waren das zum Beispiel 16,8 Megawattstunden, das ist so viel, wie 168 Milliarden 100-Watt-Glühbirnen in einer Stunde verbrauchen. Strom ist aber - wie Energie überhaupt - teuer geworden in den letzten Monaten. Also wird auch das Papier teurer.
Manche Papierhersteller, die ihre Energie selbst erzeugen, sagen unter der Hand sogar schon, dass es für sie lukrativer wäre, einfach nur ihre Energie zu verkaufen als sie in die Papierherstellung zu stecken.
Verlage haben nicht genug Papier zum Drucken
Den Papiermangel bekommen unter anderem auch die Buchverlage zu spüren. Filip Kolek vom Berliner Reprodukt-Verlag sagt, in den letzten Monaten sei das Papier alle zwei Wochen teurer geworden. Einige Papiersorten seien sogar 60 Prozent teurer als vor zwei Jahren. Rar und kostspielig sind vor allem hochwertige Papiere - etwa für Kunstbücher oder eben die bibliophilen Comics und Graphic-Novels von Reprodukt.
Hochwertige Papiere besonders rar und teuer
Vor allem Verlage, die ihre Bücher in unterschiedlichen Papierqualitäten und Formaten drucken, zahlen drauf, denn wer in kleinen Mengen einkauft, bekommt immer schlechtere Konditionen. Davon kann auch der Tessloff-Verlag ein Lied singen: Er macht nicht nur die bei Kindern beliebten Was-ist-Was?-Sachbücher, sondern auch aufwendige Bücher für ganz kleine Kinder mit haptischen Applikationen und ausklappbaren Pappen. Vor allem die hochwertigen und strapazierfähigen Pappen seien kaum mehr zu bekommen, sagt Katja Meinecke-Meurer von Tessloff.
Einfach ein anderes Material verwenden, gehe aber auch nicht so leicht. Denn alle Bestandteile der Bücher für kleine Kinder müssten getestet werden und bestimmten Normen entsprechen. Bis neue Materialien durchgetestet seien, gehe viel Zeit ins Land.
Recycling-Papier ist Mangelware
Auch der Münchner Oekom-Verlag leidet besonders unter der Papierkrise. Denn Oekom druckt seine umweltpolitischen und ökologischen Bücher nach Möglichkeit auf Recyclingpapier, das wegen des Altpapiermangels viel seltener geworden ist. Die letzte Ausgabe seiner bayerischen Kulturzeitschrift MUH musste Oekom in einem kleineren Format drucken, weil das gewohnt extragroße Papier gerade nicht lieferbar war.
Papier Monate vorher bestellen - zu unbekannten Preisen
Wenn die erste Auflage eines Buches sich unerwartet schnell verkauft, wollen die Verleger natürlich sofort nachdrucken und eine zweite Auflage auf den Markt bringen. Das dafür nötige Papier ist zur Zeit aber meist nicht schnell genug lieferbar. Nachdrucke dauern deshalb schon mal mehrere Wochen, und ob das Leserinteresse bis dahin anhält, ist ungewiss. Deshalb planen viele Verlagshäuser im Moment von Anfang an größere Auflagen, damit sie genug Bücher auf Vorrat haben. Wenn die Bücher sich dann aber nicht verkaufen, bleiben die Verleger auf den Kosten sitzen.
Um einigermaßen durch die Krise zu kommen, planen die Verlage inzwischen weit im im Voraus. Der Oekom Verlag etwa bestellt sein Papier oft schon ein halbes Jahr oder länger vor, damit es zum Druck dann auch da ist. Allerdings legen sich die Papierhersteller auf keinen Preis fest, weil sie selbst nicht wissen, was das Papier im Herbst kosten wird. Man kauft also die Katze im Sack.
Kosten senken, aber wie?
Verlage müssen also findig sein, um die höheren Kosten und Verluste auszugleichen. Katrin Schießl vom Oekom-Verlag sagt, dass sie für manche Zeitschriften schon ein dünneres Papier genommen haben oder auch weniger Exemplare drucken. Das bedeutet aber auch, dass weniger Kunden die Zeitschriften im Handel finden. Weitere Einbußen sind die Folge.
Der Tessloff-Verlag versucht, so schnell, wie es eben geht, auf andere Materialien auszuweichen oder eben die Publikation eines Buches oder einer ganzen Reihe um Monate zu verschieben. Das ist natürlich auch ärgerlich, weil Presse und Buchhandel auf den ursprünglichen Erscheinungstermin vorbereitet sind.
Comic-Verlag macht Crowd-Funding-Aktion
Vielen Verlagen wird mittelfristig nichts anderes übrig bleiben, als die Preise für ihre Bücher und Zeitschriften anzuheben. Aber ob die Leser da mitziehen? Wenn ein Buch die "Schallmauer" von 20 Euro durchbricht, stecken Leser öfter mal den Geldbeutel wieder ein, das ist die Erfahrung vieler Verlage.
Der Verlag Reprodukt will erst mal bei den alten Preisen bleiben, weil seine hochwertigen Graphic-Novels ohnehin schon oft 29 oder 39 Euro kosten. Darum hat der Verlag eine Crowdfunding-Aktion gestartet, um die Bücher für den Herbst zu retten. Als Dankschön für ihre Spenden bekommen die Leserinnen und Leser zum Teil originale Zeichnungen oder Drucke, die die Künstlerinnen und Künstler kostenlos zur Verfügung gestellt haben, um ihrem Verlag unter die Arme zu greifen. Mit Erfolg: Nach nur zehn Tagen war schon mehr als das Doppelte der angestrebten 30.000 Euro Spenden eingespielt.
Bücher in Tankfüllungen umrechnen
So ein junges und digital-affines Publikum haben aber natürlich nicht alle Verlage. Deshalb wird es am Buchmarkt wohl bald Preissteigerungen geben. Katrin Schießl von Oekom hofft - wie viele andere Macher von Büchern und Zeitschriften -, dass die Leserinnen und Leser dafür Verständnis haben.
Sie schlägt vor, die Bücher in Tankfüllungen umzurechnen. Dann fühle sich der Preis für ein Buch plötzlich gar nicht mehr so teuer an: Man solle sich vorstellen, wie viele Bücher man für den Preis einer Tankfüllung bekomme, und mit einem einzigen Buch könne man schließlich um die ganze Welt reisen - mit einer Tankfüllung nicht.
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