Ernestine Hipper geht konzentriert durch ein großes Lager voller Sessel, Stoffe, Schränke, Tische, Vasen, Töpfe und Teppiche aus verschiedenen Zeiten und Gegenden. Hier holt sie sich, was sie für das Set der Filme an Ausstattung braucht. Die 60-Jährige hat jetzt zusammen mit Christian M. Goldbeck in der Kategorie "Bestes Produktdesign" für den Film "Im Westen nichts Neues" den Oscar bekommen.
"Set Decorator": Räume und Dinge zum sprechen bringen
Ihr Part beim Produktdesign ist nicht das "Set Design", und das betont Ernestine Hipper im BR-Interview, sie ist nicht die Architektin der Filmkulissen – die sind das Werk von Christian M. Goldbeck – sondern sozusagen die Innenarchitektin: "Ich bin Set Decorator. Der Szenenbildner ist ein ganz anderes Genre, die kommen mehr von der Filmarchitektur. Die kriegen das Drehbuch, dröseln es auf in einzelne Sets – und dann komme ich dazu und wir überlegen: Was für Möbel kommen in eine Wohnung? Ist sie groß genug? Brauchen wir mehr Fenster? Mehr Vorhänge? Wie soll die Stofflichkeit sein? Was wollen wir erreichen? Was willst Du in einem Raum fühlen?"
In dem Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" ist Wahrhaftigkeit, ist Authentizität gefragt – bis ins kleinste Detail: Jede Waffe, jeder Balken im Schützengraben, jeder Eimer, aus dem die Soldaten trinken, muss echt wirken.
Abtauchen in die Schrecken der Geschichte
Historische Stoffe verlangen viel Recherche. Alles muss der Überprüfung standhalten. Hipper liest Feldpost, durchforstet Archive nach Bildmaterial – eine Reise ins Grauen des Schlachtfelds. "Wenn man die wahren Bilder sieht und die Originalsachen, saß ich oft da und wusste nicht, wie ich überhaupt emotional damit umgehen kann. Irgendwann habe ich in mir den Schalter geklickt. Da habe ich entschieden, es ist einfach wie eine extrem gute Dokumentation."
Nie hätte sie sich vorstellen können, für einen Kriegsfilm zu arbeiten, noch als sie das Drehbuch zu "Im Westen nichts Neues" gelesen hat, habe sie geweint und es abgelehnt. Doch dann brach ein anderer Auftrag weg und der Regisseur Edward Berger konnte die erfahrene Set-Designerin überreden. Viele ihrer Kollegen haben abgesagt – so Ernestine Hipper im BR-Interview: "Sie meinten, ich gehe ja nicht in die Tschechei, bei minus zehn Grad, und stehe im Schützengraben, für kein Geld der Welt."
Besondere Herausforderung: das Schlachtfeld
Allerlei Dachgiebeln, alten Schlössern und anderen märchenhaften oder auch nüchternen Räumen hat die in Langenmosen, Oberbayern, geborene Ernestine Hipper schon eine dichte Atmosphäre, das ganz besondere Raumgefühl verschafft: Sie hat das Set für "Krabat" und "Das Kleine Gespenst" kreiert und jetzt zum Bespiel auch bei dem – ebenfalls oscarnominierten Film – Tár mitgemacht. Aber ein offenes Feld ?
Das Schlachtfeld, die Verheerungen des Stellungskrieges an der Westfront mussten rekonstruiert werden. Stacheldraht und Krater, die Gewehre und Geschosse aus dem Ersten Weltkrieg. Jedes Detail ein Kampf um Authentizität. Zum Glück im Team. Zuletzt arbeiteten 360 Leute im Art Department für den Film mit. "Ich musste diese 'Spanish Riders' (so nennt man diese Reitpferde), die ganzen Pferde und kaputten Dummies dekorieren, eingraben, einbuddeln. Den Staub, den Dreck. Das ist dann alles meins gewesen", sagt Ernestine Hipper im BR.
Der Wahrsager hat Wahres prophezeit
Früher sei sie mal kurz davor gewesen, auszusteigen aus dem Filmgeschäft, um sich was Beständigeres, Zuverlässigeres zu suchen. Ein Kartenleger aber habe ihr dann prophezeit, dass sie mit 60 Jahren "weltweite Anerkennung" ernten werde. Das ist jetzt passiert.
Ernestine Hipper ist zusammen mit Christian M. Goldbeck gestern Abend in Los Angeles mit der Trophäe für das beste Produktionsdesign ausgezeichnet worden. Gratulation!
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