Nominiert für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin: Schauspielerin Andrea Riseborough
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Nominiert für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin: Schauspielerin Andrea Riseborough

    Diskussionen um Oscar-Nominierung von Andrea Riseborough

    Den Film "To Leslie" hat kaum jemand gesehen, trotzdem ergatterte die britische Schauspielerin Andrea Riseborough eine Oscar-Nominierung als beste Darstellerin - wohl auch dank der Social Media-Elogen einiger Kolleginnen und Kollegen. Ein Skandal?

    Sie darf sie behalten, ihre Nominierung - das gab die Academy am Dienstag bekannt. Andrea Riseborough darf sich also weiterhin Hoffnungen machen, bei den Oscars 2023 (12.3.) als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet zu werden. Und das, obwohl es im Vorfeld große Diskussionen gab – und gibt.

    Kaum Publikum, aber eine Oscar-Nominierung

    Nominiert ist Riseborough für ihre darstellerische Leistung im Film "To Leslie". Eine ziemliche Überraschung. Und nicht etwa, weil der Film schlecht wäre. Im Gegenteil – in der Kritik kommt er gut weg. Genauso wie Riseborough selbst, die eine alkoholkranke Mutter spielt. Der Punkt ist: Kaum jemand hat das Drama gesehen. Nur knapp 28.000 Dollar hat es an der Kinokasse eingespielt. Damit gehört "To Leslie" zu den Filmen mit den niedrigsten Einnahmen, die jemals für einen Oscar nominiert wurden. "Zu behaupten, "To Leslie" hätte keine großen Wellen geschlagen, wäre noch eine Untertreibung", kommentierte etwa die "Washington Post".

    Wie also kam es dazu? Social Media könnte da eine wichtige Rolle spielen. In der Woche vor der Bekanntgabe der Nominierung häuften sich dort Stimmen, die auf den Film und Riseboroughs Leistung mehr oder weniger enthusiastisch aufmerksam machten. Stimmen prominenter Kolleginnen und Kollegen. So twitterte etwa Edward Norton, der selbst schon dreimal für einen Oscar nominiert war, Riseborough hätte ihn regelrecht "umgehauen". "Es ist die engagierteste, emotional tiefste und körperlich erschütterndste Leistung, die ich seit langem gesehen habe", lobte der Schauspieler.

    Kollegen preisen Riseborough in den Sozialen Medien

    Ähnlich äußerte sich auch Gwyneth Paltrow auf Instagram. "To Leslie" sei ein Meisterwerk und habe jede Nominierung mehr als verdient, postete sie unter einem Foto, das sie zusammen mit Riseborough, dem Regisseur des Films Michael Morris und dessen Frau, der Schauspielerin Mary McCormack zeigt.

    Die beiden letzteren spielen auch eine wesentliche Rolle bei der Kampagne, die Riseborough zu ihrer Oscar-Nominierung verholfen haben soll. Zunächst zeigten sie den Film ihrem Freund, dem Journalisten und Podcaster Howard Stern, der ihn dann in seiner sehr populären Radioshow vorstellte. Das Hollywood-Magazin "Variety" berichtete außerdem von einer Mail, die McCormack an befreundete Schauspielerinnen und Schauspieler geschickt haben solle. Und das verbunden mit der Bitte, bis zum Ende der Abstimmung für die Nominierungen (17.1) "jeden Tag zu posten". Sogar Hashtags soll McCormack vorgeschlagen haben, um die Reichweite der Posts zu steigern.

    Vorwurf des institutionellen Rassismus

    Ob auf Aufforderung oder nicht: Bemerkenswert ist der Unterstützerkreis, den "To Leslie" in den Sozialen Medien (und außerhalb) gefunden hat. Neben Edward Norton oder Gwyneth Paltrow, zählen dazu auch Charlize Theron, Kate Winslet, Amy Adams oder Cate Blanchett, die mit Riseborough in diesem Jahr um den Darstellerinnen-Oscar konkurriert.

    Dass sämtliche Unterstützer zudem weiß sind, hat in Hollywood noch eine zusätzliche Diskussion entfacht. Chinonye Chukwu, Regisseurin der Filmbiografie "Till" über die Mutter von Emmet Till, der in den 1950ern das Opfer eines rassistischen Lynchmords wurde, prangerte nach Berichten der Deutschen Welle sogar institutionellen Rassismus an: Eine weiße Schauspielerin wurde mit Unterstützung weißer Kolleginnen und Kollegen für einen winzigen Film nominiert. Dagegen seien weder Viola Davis in "The Woman King" noch Danielle Deadwyler in "Till" berücksichtigt worden, obwohl beide in größeren Filmen mitgespielt hätten. "Wir leben in einer Welt und arbeiten in einer Branche, die sich so aggressiv für die Aufrechterhaltung des Weißseins einsetzt und eine unverschämte Misogynie gegenüber schwarzen Frauen aufrechterhält", wird Chukwu zitiert.

    Academy will Lobby-Regeln anpassen

    Daneben geht die Diskussion weiter, inwieweit die Marketingkampagne im Zusammenhang mit "To Leslie" gegen die Lobby-Regeln der Academy verstoßen hat. Eine direkte Bewerbung von Filmen durch Mitglieder der Academy ist eigentlich untersagt. Problem nur: Die Regeln wurden noch zu analogen Zeiten aufgestellt. Gerade auf Social Media ist die Grenze zwischen privater Meinung und Werbung allerdings wesentlich schwieriger zu ziehen.

    Bill Kramer, Geschäftsführer der Filmakademie, kündigte deshalb in einer Mitteilung vom Dienstag an, die Regeln überprüfen zu wollen. Der Vorfall habe zwar nicht "eine Stufe" erreicht, um die Nominierung abzuerkennen, gewisse Werbe-Taktiken hätten aber "Bedenken" ausgelöst. Man werde die Richtlinien deshalb weiter überarbeiten.

    Aufklärung: Die FAZ wars!

    Unterdessen hat die "FAZ" den Fall bereits "aufgeklärt". Und das in Person von Dietmar Dath, der sich in einem ironischen Kommentar in der heroischen Geste der Entlarvung übt und alle Schuld, o ja, dem eigenen Blatt in die Schuhe schiebt. Schließlich habe man in der "FAZ" immer wieder, sogar jahrelang, euphorisch von den schauspielerischen Fähigkeiten Andrea Riseboroughs geschwärmt. "Zehn Jahre lang also versucht diese Frankfurter Feuerstellung des verrückten Riseborough-Fanatismus schon, ihre Göttin der Welt unterzujubeln – und so wachsam das Internet sonst ist, diesmal hat man die ominöse Frau bis zur Oscarliste durchgeschoben", schreibt Dath. Die Frankfurt-Hollywood-Connection also. Verdammt, man hätte es sich denken können.

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