Als "Abräumer des Abends" wurde er in der Nacht schon kommentiert - was rein rechnerisch zwar nicht ganz stimmt, denn es waren lediglich vier Oscars, die der deutsche Kriegsfilm "Im Westen nichts Neues" gewann. Allerdings ist diese Bezeichnung aus deutscher Perspektive durchaus gerechtfertigt, denn so viele Oscars hat eine Produktion "made in Germany" noch nie bekommen. Erfolgreichster Film der 95. Oscarverleihung ist aber die US-amerikanische Sci-Fi-Komödie "Everything Everywhere All at Once", die sieben Mal ausgezeichnet wurde, unter anderem als bester Film.
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Unaufgeregte Oscar-Gala ohne Skandale und Ausraster
Die Gala für den Kino-Jahrgang von 2022 nimmt in der Oscar-Geschichte keine besondere Stellung ein. Sie war weder besonders witzig noch politisch interessant, noch gab es große Aufreger, wie im vergangenen Jahr, als der Schauspieler Will Smith dem Komiker Chris Rock auf der Bühne eine Ohrfeige verpasste, nachdem dieser sich über seine Ehefrau Jada Pinkett lustig gemacht hatte.
Der erhabenster Moment war diesmal die Dankesrede von Michelle Yeoh, der malaysischen Schauspielerin chinesischer Abstammung, die für ihre Rolle in "Everything Everywhere All at Once" als erste asiatische Darstellerin überhaupt den Oscar als Beste Hauptdarstellerin gewann.
Yeoh war in den 1990er Jahren ein Star im asiatischen Action- und Martial-Arts-Kino und schaffte durch ihren Auftritt in "James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie" auch den internationalen Durchbruch. Nach der Jahrtausendwende schien ihre Karriere langsam auszuklingen. Kein Wunder, dass die Sechzigjährige jetzt ihre rechte Hand zur Faust ballte und mit der linken den Oscar umklammert hielt, als sie sagte: "Ladys, lasst euch niemals einreden, dass eure Zeit vorbei ist."
Steven Spielbergs Film ging leer aus
Vorbei ist vermutlich die Zeit der großen legendären Oscarshows. Die Academy versucht, Aufreger zu vermeiden, nicht anzuecken und im Sinne einer Political Correctness alles richtig zu machen. Klar, dass man den wohl wirklich besten Film dieses Jahrgangs, Steven Spielbergs "The Fabelmans", nicht auszeichnen wollte, weil er von einem 76-jährigen weißen Mann stammt, der zudem schon einige Preise in seinem Leben gewonnen hat.
Stattdessen also "Everything Everywhere All at Once" – eine wunderbar durchgeknallte asiatisch-amerikanische Komödie über eine chinesische Waschsalonbesitzerin in den USA, die Probleme mit der Steuerbehörde bekommt und sich fortan in verschiedenen Paralleluniversen behaupten muss. Als einen wirklich großen Film kann man diese verrückte Fantasy-Sause allerdings nicht bezeichnen.
Historisches Abschneiden von "Im Westen nichts Neues"
Dass der deutsche Beitrag "Im Westen nichts Neues" vier Oscars gewann, ist hingegen historisch. Neben dem Preis für den besten ausländischen Film gab es noch die Oscars für Kamera (James Friend), Filmmusik (Volker Bertelmann alias Hauschka) und Produktionsdesign (Ernestine Hipper und Christian M. Goldbeck). "Im Westen nichts Neues" reiht sich ein in die Produktionen, die sich mit deutschen Totalitarismen beschäftigen - was von der Academy schon immer als besonders auszeichnungswürdig begriffen wird.
Erfüllt wurde jetzt also die große Hoffnung auf den vierten deutschen Sieg, nachdem zuvor schon 1980 "Die Blechtrommel", 2003 "Nirgendwo in Afrika" und 2007 "Das Leben der Anderen" ausgezeichnet wurden – also zwei Filme über den Nationalsozialismus, einer über die DDR und nun das Drama über einen jungen deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Während der Film in Deutschland sehr kritisch gesehen wird, bekommt er im Ausland viel Lob.
"Im Westen nichts Neues": Die teuerste deutsche Produktion
Möglich wurde der Oscar-Erfolg aber erst durch das Geld des US-amerikanischen Medienunternehmens Netflix. "Im Westen nichts Neues" ist mit rund 20 Millionen Kosten eine der teuersten deutschen Produktionen überhaupt, wobei der Kinostart eher bescheiden ausfiel und der Erfolg im Streamingangebot deutlich größer war.
Nur "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" von 2018 war mit einem Budget von 25 Millionen Euro deutlich teurer. Man könnte den Oscar jetzt also auch als Aufforderung an Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) verstehen, bei der Novellierung des Filmförderungsgesetzes auch größere Budgets zu ermöglichen, statt wie bisher mit der Gießkanne zu fördern.
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