Die Nervosität im Kreml ist erheblich gestiegen. Außenminister Sergei Lawrow sah sich sogar bemüßigt, Putschgerüchte als "Unsinn" zu dementieren, und Putins Pressesprecher Dmitri Peskow hielt es für angemessen zu sagen, der Kreml habe "keine Angst" vor den Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Grund dafür: Vier russische Journalisten hatten es gewagt, den Politiker zu befragen und waren dafür von der Medienaufsicht Roskomnadzor (RKN) scharf kritisiert worden. Es werde überprüft, ob der Inhalt des Interviews mit der russischen Gesetzgebung "übereinstimme", so die Behörde.
Peskow selbst behauptete, das Selenskyj-Interview "noch nicht" gelesen zu haben und bekräftigte: "Es gelten Gesetze, und es ist sehr wichtig, keine Informationen zu veröffentlichen, die einem Verstoß gegen diese Gesetze gleichkommen würden."
"Weitere Warnung" der Zensurbehörde
Die "Nowaja Gaseta" gehörte zu den mutigsten Zeitungen, die sich bisher der Propaganda des Kreml konsequent verweigerte, angeführt von Chefredakteur Dmitri Muratow, dem Friedensnobelpreisträger von 2021. Täglich war in den Beiträgen zu lesen, welche Verwüstungen Putin im Denken der Russen anrichtet, die Solidarität mit der Ukraine wurde nirgendwo ausgespart.
So viel Tapferkeit rief jetzt zum zweiten Mal die RKN auf den Plan, die das Blatt erneut abmahnte. Die Herausgeber schrieben daraufhin auf die Website: "Wir haben eine weitere Warnung von Roskomnadzor erhalten. Danach setzen wir die Veröffentlichung der Zeitung auf der Website, in Netzwerken und auf Papier aus - bis zum Ende der 'Sonderoperation auf dem Territorium der Ukraine'." Das Wort "Krieg" ist in Russland strengstens verboten.
Muratow wandte sich persönlich an seine Leser: "Es gibt keinen anderen Ausweg. Für uns und, ich weiß, für Sie ist das eine schreckliche und schwierige Entscheidung. Aber wir müssen uns füreinander aufsparen. Ihre Unterstützung ist wichtiger denn je. Ohne Sie werden wir nicht überleben."
Russische Post sprach von "extremistischem Material"
Laut RKN war der Grund für die abermalige Beschwerde, dass die "Nowaja Gaseta" einen "Auslandsagenten" zitiert habe, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich um einen solchen handle. Für Wiederholungstaten sieht das russische Mediengesetz den Entzug der Lizenz vor.
Die russische Post hatte den Abonnenten bereits mehrfach die "Nowaja Gaseta" vorenthalten, Betroffene berichteten, ihnen sei gesagt worden, das "extremistisches Material" beschlagnahmt worden sei.
Deutsche Welle als "Ausländischer Agent" gebrandmarkt
Die Zahl der Websites, Online-Portale und Medien, die RKN in den letzten Tagen gesperrt oder verboten hat, ist nicht mehr zu übersehen. Kürzlich wurde die "Deutsche Welle" offiziell mit dem in Russland rechtlich verhängnisvollen Begriff "Ausländischer Agent" gebrandmarkt.
Offenbar ist der Kreml in Panik und hat sich entschlossen, im "Informationskrieg" noch härter durchzugreifen. Das wurde sogar dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko zu viel, der kürzlich für sein eigenes Land bemerkte, eine Sperre von Youtube treffe in erster Linie seine eigenen Landsleute: "Man muss fundierte Entscheidungen fällen."
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