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"In den Gängen"

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"Ohne Dampf kein Kampf": "In den Gängen" von Thomas Stuber

Der Gabelstapler hat eine Hauptrolle: Thomas Stuber erzählt von der Welt der kleinen Angestellten in einem Leipziger Großmarkt, das Drehbuch stammt von Clemens Meyer. Solidarität am Arbeitsplatz - ist das eine machbare Utopie? Von Moritz Holfelder

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Der deutsche Shooting-Star Franz Rogowski, der kürzlich in der New York Times als ein ungewöhnliches Sex-Symbol porträtiert wurde, spielt Christian. Der fängt neu als Lagerarbeiter in einem Großmarkt bei Leipzig an. Mit sorgfältig gewählten Bildausschnitten entfaltet sich eine faszinierende Bewegungs-Choreografie von Menschen und Dingen. Alltägliche Vorgänge werden im Licht eines magischen Realismus gezeigt.

Schüchtern und ziemlich schweigsam taucht Christian in das ihm unbekannte Universum ein. Behutsam durchquert er die langen Gänge mit den meterhohen Regalen, möchte die akribische Ordnung der Warenlager verstehen, und versucht die surreale Mechanik der Gabelstapler zu begreifen, die er bald auch selbst bedienen können soll.

Gabelstapler gehört zum Ensemble

Als „In den Gängen“ kürzlich bei der Berlinale im Wettbewerb lief, wurden die drei Hauptdarsteller Franz Rogowski, Sandra Hüller und Peter Kurth nach ihren Erfahrungen mit den Gabelstaplern gefragt. Die elektrobetriebenen Helfer gehören in diesem Film gewissermaßen mit zum Ensemble – wie Kollegen, die sanft und schwebend spät abends noch durch die notdürftig beleuchteten Gänge unterwegs sind, um Waren an die Orte zu bringen, wo sie am nächsten Tag gebraucht werden.

Lebenswelt kleiner Angestellter

Der Umgangston klingt bisweilen etwas rau, aber jedes Wort kommt von Herzen. Mit „In den Gängen“ öffnet Regisseur Thomas Stuber unseren Blick für die Lebenswelt eines kleinen Angestellten in der ostdeutschen Provinz. Das sieht man so selten im Kino. Zusammen mit dem Schriftsteller Clemens Meyer, der das Drehbuch schrieb, erzählt Stuber in einem märchenhaften Ton von einer wundersam solidarischen Arbeitswelt. Dass das nicht in rührseligen Kleine-Leute-Kitsch kippt, liegt zum einen an den klug geführten Schauspielern, die alle Szenen lieber unterspielen als zu überhöhen, und an den vielen alltäglichen Beobachtungen, die Stuber und Meyer von ihren Recherchen aus echten Lebensmittelmärkten eingebaut haben. Wenn Christian etwa mit seinem Vorarbeiter zum heimlichen Rauchen in ein dunkles Eck des Getränkelagers flüchtet, meint der Kollege in Bezug auf die Arbeitsmoral lakonisch: „Ohne Dampf kein Kampf.“

"Man kommt leicht rein"

Christian verliebt sich bald in Marion von der Süßwaren-Abteilung. Aber diese Romanze wird nicht durch erzählt, sondern lebt von ihren Auslassungen. Man kommt leicht rein in diesen Film und mag ihn von Minute zu Minute mehr, weil Thomas Stuber rigoros empathisch mit allen seinen Figuren umgeht. Das ist die große Stärke von „In den Gängen“, einer Art Kammerspiel über eine für sich existierende Welt, die nicht mit einer eindeutigen Botschaft überfrachtet wird, sondern einen weiten Gedankenraum öffnet – über Einsamkeit, über die Liebe, über wundersame Augenblicke, über Zärtlichkeit, über Schmerz und auch über prekäre Arbeitsverhältnisse oder den kapitalistischen Überbau.