Bayerische Gesundheit
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"Obacht geben, länger leben": Heilen im alten Bayern

"Petersilie hilft dem Mann aufs Pferd, der Frau unter d'Erd": Das Kraut war für Männer ein Aphrodisiakum und für Frauen ein Abtreibungsmittel. Das und mehr lernt man in Helmut A. Seidls Kulturgeschichte bayrischer Heilmethoden.

Heilkunst im alten Bayern. Gegen jeden "Wehdam" ist ein Kraut gewachsen. Wunderdoktoren, Hebammen, Dorfbader sind die Helden der Volksmedizin. Sie schröpfen, lassen zur Ader. Und wenn alles nichts hilft, hilft ein Spruch.

Heilmethoden im alten Bayern

"A Gscheiter hälts aus und um einen Schlechten is nicht schad.", oder: "Obacht gem länger leben. Pass bloß auf Birscherl." Der Sprachwissenschaftler Helmut A. Seidl hat medizinischen Ratschläge, die die bairische Sprache bereithält, gesammelt und jetzt mit seinem Buch "Obacht geben, länger leben!" so etwas wie eine Kulturgeschichte der Heilmethoden in Bayern herausgebracht.

Wichtig war anno dazumal der Bader. Heute ein ausgestorbener Beruf. Eine Mischung aus Heilpraktiker, Zahnarzt und Friseur. Einfach in den Methoden, derb im Umgang mit den Patienten.

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Der Bader: eine Mischung aus Heilpraktiker, Zahnarzt und Friseur.

Bis ins 20. Jahrhundert fast keine Ärzte im Bayerischen Wald

"Der Bader war eigentlich eine Art Wundarzt, der elementare ärztliche Leistungen vollbrachte. Wirkliche Ärzte waren ja ganz selten. Es hieß ja zum Beispiel im Bayerischen Wald bis ins 20. Jahrhundert hinein fast keiner einen Arzt aufgesucht hat oder gesehen hat.", so Helmut A. Seidl. Stattdessen ging man zum Aderlass beim Bader. Ließ sich die Vene am Arm aufschneiden, um das Gleichgewicht der Körpersäfte zu erhalten. Die Methode geht auf Hippokrates zurück. "Am ersten mäßig, am zweiten gefräßig, am dritten toll und voll – dann tut der Aderlass wohl".

Im 19. Jahrhundert kam durch die Schulmedizin erste Kritik am Aderlass auf. Manche Ärzte hätten gesagt, so Seidl, wenn Leute vom Grabe auferstehen könnten, Millionen von Leuten würden dann den Aderlass als ihre einzige Todesursache bezeichnen.

Heilkräuter und wilde Beeren

Die Heilkraft der Kräuter und wilden Beeren: "Kümmel, Dill und Rosmarin, lässt böse Geister weiterziehen", heißt es zur wohltuenden Wirkung der Kräuter. Aber Obacht: Vorm Holler sollst den Hut ziehen, vorm Wacholder dich niederknien." Die Herrgottsapotheke hielt für jedes Leiden eine Arznei parat.

"Petersilie hilft dem Mann aufs Pferd, der Frau unter d'Erd." Der Spruch, der wie frühe Gendermedizin klingt, hat eine wahre Geschichte: "Petersilie hilft dem Mann aufs Pferd, weil es früher als Aphrodisiakum benutzt wurde. Und bei der Frau wurde es als Abreibungsmittel verwendet, was oft zum Tod führte. Im Mittelalter hießen ja auch die Straßen mit Bordellen Petersiliengassen."

Heiliger Beistand

Doch gegen manche Krankheit und gegen den Tod ist "kein Kraut mehr gewachsen". Aber selbst dann gibt es – laut Volksmund – noch Hoffnung, durch die richtige Ernährung: "A Hennasuppn weckt Tote auf." Oft halfen auch die Heiligen. Zuständig für Brandwunden: Der heilige Laurentius. Patron gegen Kopfschmerzen: Dionysius. Nach seiner Enthauptung soll er den Kopf in die Hände genommen haben und weggegangen sein. Der Heilige Vitus starb früh mit 12 Jahren. Er war – so Helmut A.Seidl – der Patron der Bettnässer: "Der heilige Vitus starb ja den Märtyrertod und soll in Öl gesotten worden sein, insofern erscheint er in Heiligenbildern immer mit einer Ölbüchse, die aber mehr einem Nachttopf gleicht."

Arzneien, Heilpflanzen, Drogen und der Rausch lagen oft nah beieinander. Einen Rausch im Monat hielt man in Bayern lange für gesund. Medizinisch heute nicht mehr haltbar. Ebenso wenig das Postulat: "Auf den Katzenjammer g'hört a frische Maß Bier." In jedem Fall gilt: "Z'viel ist ung'sund, und wenn's auch lauter Medizin wär" und "Nix übertreiben, dann bleibst pumperlgsund."

Helmut A.Seidl: "Obacht geben, länger leben! Vorbeugen und heilen im alten Bayern" ist bei Volk erschienen.

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