Die beiden Sänger in düsterer Atmosphäre
Bildrechte: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl

Lancelot (Domen Križaj) und Genièvre (Anna Gabler)

    Nur nicht aus Liebe weinen: "König Arthus" in Erl

    Härter, schneller und diesseitiger als Wagners "Tristan und Isolde": Ernest Chaussons selten gespielte Kelten-Saga erwies sich bei den Tiroler Festspielen als betörende Entdeckung mit Suchtpotential. Es wird mächtig gemetzelt, gezetert und geliebt.

    Wirklich ein Jammer, dass in der Opernliteratur jeder Stoff nur in einer einzigen Fassung populär wurde: Von Shakespeares "Otello" gibt es auch eine Vertonung von Rossini, aber nur Verdis Oper schaffte es dauerhaft auf die Spielpläne. Ähnliches gilt für Goethes "Faust", ein Drama, das in der Version von Charles Gounod ungleich populärer ist als in der von Robert Schumann oder gar von Ignaz Walter, der es 1797 erstmals vertonte.

    Wagners "Tristan und Isolde" macht da keine Ausnahme: Wer kennt schon die alternative Vertonung von Frank Martin "Le vin herbé/Der Kräutertrank" (1942) und wer hat schon mal Ernest Chaussons "König Arthus" (1903) gehört? Schade drum, denn gerade das letztere Werk erwies sich bei den Tiroler Festspielen in Erl als ungeheuer fesselnd, musikalisch wie szenisch.

    Bei Chausson sind Plagiate doppelt verzeihlich

    Klar, der in Paris geborene Chausson, der mit nur 44 Jahren bei einem Fahrradunfall starb, war von Wagner hörbar schwer beeindruckt, er zitiert aus "Tristan und Isolde", aber auch aus dem "Parsifal" und fand wohl auch den "Macbeth" von Verdi ganz schick. Macht nichts, aus Begeisterung sind Plagiate entschuldbar, wenn sie nicht überhand nehmen. Und in gewisser Weise sind die Zitate bei Chausson (1855 - 1899) doppelt verzeihlich, denn der Mann hatte Ideen für ein Dutzend Opern im Kopf und konnte wegen seines frühen Todes nur eine einzige davon vertonen. Gut also, dass er wenigstens in die alles reinpackte, was ihn damals musikalisch bewegte.

    Bildrechte: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl

    Arthus hält Hof

    Musikalisch trumpft Chausson mächtig auf: Zwar gilt er als Vorläufer des französischen Impressionismus, der mit seiner Leisetreterei und Empfindsamkeit neue Wege ging, doch "König Arthus" erinnert eher an die Zeit des wilden, glutvollen Verismus, der damals, um 1900, in Italien den Ton angab. Kennzeichen: Rabiate Szenen aus dem Volksleben, ungezähmt, ungehobelt, lautstark und gern auch wüst und grell.

    Deshalb müht sich das Liebespaar aus Ritter Lancelot und seiner angehimmelten Genièvre auch ziemlich ab mit Lügen und Eifersucht, mit Schlachtengetümmel und Machtgelüsten, kurz und gut mit dem bürokratischen Alltag des Mittelalters. Der titelgebende König Arthus ist zwar alt, aber noch ganz fidel und durchaus in der Lage, sich mit seinem Schwert Excalibur durch die gegnerischen Reihen zu metzeln.

    Lancelot als wankelmütiges Weichei

    Anders als bei Wagner, wo Tristan und Isolde längst nicht mehr von dieser Welt sind und schließlich in ein buddhistisches Nirwana entschweben, sind die beiden unter anderem Namen bei Chausson ganz diesseitig. Genièvre ist in der Inszenierung der griechischen Regisseurin Rodula Gaitanou, eine rothaarige Kelten-Fürstin, die für ihre Leidenschaft über Leichen geht und gerade deshalb an Lady Macbeth erinnert. Folgerichtig hängt sie sich am Ende an ihrem eigenen Schopf auf. Lancelot ist ein etwas wankelmütiges Weichei, der zwischen Königstreue und Seitensprung etwas die Orientierung verliert und sicherheitshalber aufs für ihn tödliche Schlachtfeld türmt.

    Serien-Fans von nebelverhangenen Briten-Sagas kommen in diesem Fall ebenso auf ihre Kosten wie Bibelfilm-Bewunderer und Fantasy-Abenteurer. Nur nicht aus Liebe weinen, lieber überlegen, wie man seine Gefühle gegen alle anderen durchsetzt, notfalls mit dem Messer.

    Bildrechte: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl

    Martialische Gesten

    Der griechische Ausstatter takis, der den bürgerlichen Namen Panagiótis Vasilákis trägt, orientierte sich optisch an Mittelalter-Epen, leistete sich aber auch einige Brüche, so dass es kein unfreiwillig kitschiges Historiengemälde wurde. Ganz im Gegenteil: Bühnenbild und Kostüme faszinierten über vier Stunden hinweg. Keck zum Beispiel der Einfall, die durchweg düsteren, in Schwarztönen gehaltenen Kriegermonturen mit Reißverschlüssen zu versehen, die ja nun wirklich nicht in die Völkerwanderungszeit gehören. Und die Weltenscheibe, die mal im Nebel verschwand, mal gleißend hell aufloderte, mal eine Himmelfahrt andeutete, war von ungemein intensiver Symbolik. Wer wollte, konnte sich dabei an Wieland Wagners große Regiewürfe der 1950er Jahre erinnert fühlen.

    Die Lichtregie ließ das Meer aufbranden, den Wald rauschen, Gespenster schweifen und Ornamente ranken. Eine virtuelle Welt, würde es heute wohl treffend heißen, aber auch eine verzauberte. Und wenn dann die toten Raben auf die Speere gespießt werden, dann ist Hollywood-Grusel nicht weit.

    Effektvolle Oper über die letzten Dinge

    Ein Abend voller Wucht, optisch, aber auch musikalisch, durch das Dirigat von Karsten Januschke. Er schwelgte in Chaussons Monumentalwerk, das streckenweise ohne Weiteres zu einer Verfilmung der "Zehn Gebote" gepasst hätte. König Arthus (Domen Križaj) sah denn auch Charlton Heston als Moses verdächtig ähnlich, doch was anderswo befremdlich gewirkt hätte, entfaltet im Passionsspielhaus von Erl eine unerwartete Magie. Der Zuschauerraum aus dem Jahr 1959 ist ja sehr karg in seiner Beton-Optik und von sakraler Würde. Da macht so eine effektvolle Oper über die letzten Dinge unbedingt was her.

    Bildrechte: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl

    Narr im Lauf der Welt

    Insgesamt ein fulminantes Erlebnis und betörendes "Gesamtkunstwerk", wie es Wagner formuliert hätte. Daran hatten der Chor und die Solisten natürlich ihren gehörigen Anteil: Anna Gabler als Genièvre hatte ungeheuer viel zu tun und meisterte die Riesenpartie mit Bravour, stimmlich wie szenisch. Aaron Cawley als Lancelot drehte immer mehr auf, statt wie andere Tenöre zu ermüden. Seine dunkle Färbung passte vorzüglich zu diesem Melancholiker. Der slowenische Bariton Domen Križaj in der Titelrolle strahlte die nötige Gelassenheit aus, vermischt mit der Verzweiflung darüber, dass eigentlich alles, was er im Leben angestrebt hatte, in Trümmern lag.

    Schwarze Perle der Spätromantik

    Es wäre sehr zu wünschen, dass diese Oper von Ernest Chausson häufiger in den Spielplänen auftaucht: Mag sein, dass das Publikum im Vorhinein damit fremdelt - auch in Erl blieben bei der Premiere leider viele Plätze leer - aber wer sie erlebt hat, wird sie mindestens als expressionistische Rarität schätzen, womöglich sogar als schwarze Perle der Spätromantik entdecken. Und mit einer anderen heutzutage gern präsentierten sperrigen Ausgrabung, nämlich Hector Berlioz' "Trojanern" (1863), kann "König Arthus" (1903) wirklich mithalten.

    Wieder am 27. und 30. Juli jeweils um 18 Uhr bei den Tiroler Festspielen Erl.

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