Auch in der Schule muss ich aufpassen: Wenn mich jemand anrempelt, kann ich davon Nasenbluten bekommen, darum muss ich das Klassenzimmer immer vor den anderen verlassen. Aber: Ich kann problemlos eine Kamera benutzen, und in den letzten vier Jahren habe ich Vlogs ins Internet gestellt: Ich liebe es, meine Leidenschaft für’s Backen zu teilen – und vor allem kann ich so mit euch teilen, wie es mir mit meiner Krankheit geht. - Filmausschnitt: „My life: Born to vlog”
Die rechte Gesichtshälfte von Nikki Lilly ist dick angeschwollen, denn die Dreizehnjährige leidet an einer Arteriovenösen Malformation – einer angeborenen Fehlbildung der Blutgefäße, die zu häufigen Blutungen führt. Doch das hält das Mädchen nicht davon ab, Schmink-Tipps oder Backanleitungen auf YouTube zu veröffentlichen – und dabei auch ganz offen über ihr Leben zwischen Schule, Back-Wettbewerben und Krankenhaus zu berichten: Nikkis humorvolle und herzergreifende Videos wurden millionenfach angesehen und haben sie berühmt und ihre Krankheit bekannt gemacht.
Begeistert über Youtuberin
Die BBC-Dokumentation "My life: Born to vlog“ gibt einen so persönlichen Einblick in Nikkis Alltag, dass man sich mit dem Mädchen richtig identifizieren kann. Die Doku steht in der Kategorie "Non-Fiktional für 11- bis 15-Jährige“ im Wettbewerb mit 15 anderen Filmen. In kleinen Grüppchen sehen sich die internationalen Fachleute für Kinderfernsehen die Programme an und diskutieren anschließend über die Stärken und Schwächen der einzelnen Filme. Sie sei begeistert von der Doku über die Youtuberin, sagt diese Fernsehmacherin aus Äthiopien:
Das ist eine tolle Art, über solche Belastungen zu sprechen, denn, ja, es ist eine Belastung, aber man zeigt damit auch, wie betroffene Kinder diese bewältigen. Und das gibt auch anderen Kindern viel Kraft. - Äthiopische Teilnehmerin
Sie müssen Lotto-Scheine verkaufen
Genau das sei auch das Ziel der Programme, die bei dem Festival gezeigt werden, sagt die Festivalkoordinatorin Kirsten Schneid:
Kann man Geschichten so erzählen, dass diese Kinder bewusst in ihrem Selbstvertrauen, in ihrer eigenen Kraft und eben in ihrer Resilienz stärken? Damit setzt sich ganz bewusst der Prix Jeunesse 2018 auseinander. - Kirsten Schneid
Der Film „Deadline“ etwa begleitet vietnamesische Kinder, die Lotteriescheine verkaufen oder in den Dünen Sandbords an Touristen vermieten müssen, um ihr Schulgeld bezahlen zu können. Unaufdringlich zeigt er das resignierte Schweigen, die Enttäuschung eines Geschwisterpaars, das nicht genügend Geld verdient hat – wie dem kleinen Jungen eine Träne über die Wange läuft, weil seine große Schwester nicht mehr zur Schule gehen darf, obwohl sie doch so klug ist.
Pyramiden und Polarlichter
In dem australischen Film „What it’s like to experience a disability“- zu deutsch: „Wie es ist, eine Behinderung zu haben“ – kommen Kinder mit Behinderung selbst zu Wort. Zwei Brüder zählen die Dinge auf, die sie unbedingt noch sehen wollen, bevor sie komplett blind sind: die chinesische Mauer, die Pyramiden in Ägypten oder die Polarlichter. Ein Junge mit amputiertem Arm sagt, er wolle später bei den Paralympics ein paar Medaillen gewinnen, weil er ein guter Sportler sei. Dann blickt er direkt in die Kamera und ermutigt andere Kinder mit Behinderung:
An alle da draußen, die eine Behinderung haben: Wenn Ihr etwas wirklich wollt, dann könnt ihr ALLES schaffen. Und die Leute, die zu euch sagen, dass ihr komisch seid und so – macht einfach weiter, egal, was sie denken. Macht einfach weiter mit Eurem Leben und habt Spaß! -Ausschnitt aus: „What it’s like to experience a disability“
Wie viele Kinder halten 25 Minuten durch?
Auf dem Festival werden klassische Dokumentationen und Spielfilme, aber auch kurze Formate gezeigt. Letztere seien für Kinder besonders geeignet, sagt dieser israelische Medienforscher für Kinderfernsehen, denn
Diese sind an die heutigen Sehgewohnheiten von Kindern angepasst. Wie viele Kinder schauen schon eine 25-minütige Dokumentation an? Das ist eine der großen Herausforderungen heutzutage. - Israelischer Medienforscher
Der Prix Jeunesse versteht sich als Workshop-Festival, bei dem nicht nur über die Filme im Wettbewerb, sondern auch über Trends des Kinderfernsehens diskutiert wird:
Die wollen die guten Inhalte und da ist weiterhin der Bedarf da und dann eher die Herausforderung, auch mit der Zielgruppe mitzugehen: Wo suchen sie danach und ist man da präsent?
sagt die Festivalkoordinatorin. Denn Kinderfernsehen wird auch in Zukunft beliebt bleiben - lediglich die Plattformen verändern sich.