Polarisiert hatte er von Anfang an: Matthias Lilienthal brachte mit seiner Experimentierfreude und Unternehmungslust einen Teil der wichtigen Kritiker gegen sich auf, die Münchener CSU, viele Abonnenten und sogar ein paar Schauspieler. Alles zusammen war wohl doch zuviel: Gestern Abend ließ er ankündigen, 2020, nach dem Auslaufen seines jetzigen Vertrags, München zu verlassen. Überraschend kam die Meldung nicht. Schon vor zwei Wochen hatte die CSU-Stadtratsfraktion ohne großes Aufsehen beschlossen, einer Verlängerung keinesfalls zuzustimmen. Weil München von einer Großen Koalition aus CSU und SPD regiert wird, war das gleichbedeutend mit dem Aus für den Theaterchef.
CSU: „Anhaltende Abo-Misere“
Richard Quaas, kulturpolitischer Sprecher der Fraktion, wird in der „Süddeutschen Zeitung“ mit dem Satz zitiert, die CSU sei überzeugt davon, dass unter Lilienthal die Kammerspiele nicht mehr aus ihrer anhaltenden "Abo-Misere" und somit auch aus „einer finanziellen Misere“ herauskommen würden. Nicht nur die CSU war skeptisch: In Scharen waren die Zuschauer den Kammerspielen abhandengekommen, wenige Kritiker feierten dagegen die Spielplan-Politik als wagemutig und begrüßten, dass Lilienthal „jüngere Zuschauer“ erreichen wollte. Dies gelang jedoch nicht mal ansatzweise.
OB Dieter Reiter „enttäuscht“
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigte sich enttäuscht über das angekündigte Ausscheiden von Matthias Lilienthal. «Mit Blick auf ähnlich ambitionierte Intendanzen, die wegweisende Veränderungen mit sich gebracht haben, hätte ich Matthias Lilienthal etwas mehr Zeit gewünscht», sagte Reiter. Lilienthals Verständnis von Theater sei manchem Zuschauer „zu extensiv“, da er programmatisch und in der Form viel Neues wage. Zur Kultur und Kunst gehöre es allerdings, dass aus Reibungen mittelfristig Entwicklungen und Relevanz entstünden: «Manchmal erkennt man das erst rückblickend.»
Bis Ende des Jahres Nachfolger
Kulturreferent Hans-Georg Küppers (SPD) hatte sich an die Stadtratsfraktionen gewandt, um ein "politisches Signal" für eine mögliche Vertragsverlängerung um drei Jahre zu bekommen. Vieles habe für Lilienthal gesprochen, er habe national sowie international positive Reaktionen bekommen. Bis Ende des Jahres solle nun entschieden werden, wer den 58-Jährigen ablösen wird, hieß es vom Kulturreferat.
Grüne: „Ein Verlust“
Die Münchner Grünen bezeichneten das nahende Aus des Intendanten als Verlust für die Theaterszene der bayerischen Hauptstadt. «Nicht alles ist ihm geglückt, doch die Risiken, die er eingegangen ist, haben das kulturelle Leben in München bereichert», sagte Grünen-Stadtratsfraktionschef Florian Roth: «Welcher visionäre Theatermacher werde noch Lust haben, sich auf die Intendanz in einem derart innovationsfeindlichen Umfeld zu bewerben?»
In Berlin erfolgreich
Lilienthal, der mit seinem betont lockeren Auftreten und seiner notorisch "ungebügelten" Kleidung für Aufsehen sorgte, ist seit 2015 im Amt. Er kam mit dem klaren Anspruch nach München, weniger klassisches Sprechtheater anzubieten, dafür mehr freie Gruppen einzuladen, mehr "Projekte" zu wagen. Er stand für "performatives" Theater jenseits von althergebrachten Texten. Die Rolle der Schauspieler wurde neu definiert, Oper und Sprechtheater miteinander vermengt, überhaupt Repertoire-Grenzen überschritten, Film, Musik und Literatur munter gemixt. In seiner zweiten Saison platzte eine Premiere, ein Regisseur warf das Handtuch, mehrere Schauspielerinnen kündigten. Vor seinem Engagement in München war Lilienthal unter anderem Intendant des Theaters Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin, das unter seiner Leitung von Kritikern der Zeitschrift «Theater heute» zweimal zum «Theater des Jahres» gekürt wurde.