"Corona-Mond" : Standbild aus der Video-Arbeit von Christoph Brech
Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2023

"Corona-Mond" : Standbild aus der Video-Arbeit von Christoph Brech

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Neues Museum Nürnberg: Bewegtbilder wie Gemälde

Ob "Corona-Mond" oder "Seaglass": Das große Thema seiner Videoarbeiten ist die Konfrontation von Natur und Zivilisation. Der studierte Maler macht aus seiner Film- und Videokunst fast Gemälde – mit ausgesuchten Sounds: "Christoph Brech. Roundabout".

Irgendetwas tanzt da auf der Leinwand, geschwungene Formen gleiten von links nach rechts, heben und senken sich, eine schiebt sich vor die andere, es sieht nach glänzendem Seegras aus, nach verschnörkelten Oktopus-Armen, irgendwie metallisch und plötzlich huscht ein Kopf durchs Bild. Es ist der Blick auf ein Karussell, ganz nah, nur ein Ausschnitt, gefilmt in einer einzigen Einstellung, die Kamera bewegt sich nicht vom Fleck.

"Seaglass" heißt das Video und auch das Karussell, das Christoph Brech hier abgefilmt hat. "Seaglass", wie die von Meersalz rund und matt geriebenen Glasscherben, die man immer wieder am Strand findet.

Flugverkehr beeinflusst unser Sicht auf die Gestirne

Ganz anders das nächste Video: Auf den ersten Blick eine reine Naturaufnahme, ein großer gelb-rosa Vollmond, der mit der unglaublich detaillierten Zeichnung seiner Kraterlandschaft überrascht. Doch die Szene ist menschenbedingt: Es ist ein "Corona-Mond", der wegen der reinen Luft während des ausgesetzten Flugverkehrs so gut zu sehen war.

Ob Karussell in Fischform oder Corona-Mond: Immer geht es bei Christoph Brech auch um die Konfrontation zwischen Natur und Zivilisation: "Also das eine beeinflusst das andere in irgendeiner Weise und wie das das beeinflusst, das finde ich total interessant. Da entstehen einfach die Sachen, die außergewöhnlich sind. Wenn der Mond so schön zu sehen ist, weil keine Flugzeuge mehr fliegen, dann ist das beeinflusst."

Filme wie Gemälde

Selbst "Ash Cloud", ein Video, das Wartende am Flughafen zeigt, basiert auf einem Naturereignis. Bei Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull und dem wegen seiner Aschewolke europaweit lahmgelegten Flugverkehr saß auch Christoph Brech in Helsinki fest. Über ihm eine Decke aus Milchglas, durch die er Füße und Drehstühle der über ihm Gestrandeten beobachten und filmen konnte. 2010 war das, eine Zeit vor dem Smartphone-Standard. Und so schauen die Wartenden nicht auf irgendwelche Displays, sondern beginnen sich zu bewegen und der filmisch eingefangene Zwangs-Stillstand mündet in ein Ballett aus hin und her tippelnden Füßen, aus Turnübungen und Drehstuhl-Einlagen.

Bildrechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Christoph Brech: Standbild aus dem Video "Ash Cloud"

Sinn fürs Transzendente

Brechs Filme sind Bewegtbilder, eine Handlung im klassischen Sinn, aber eine Geschichte oder irgendwelche besonderen Ereignisse gibt es nicht. So gesehen sind seine Filme eher Gemälde. Für die Dauer von zwei, drei, oder auch mal acht Minuten halten sie den Blick des Betrachters bei der Stange, und siehe da: Wer länger hinschaut, sieht mehr. "Ich versuche schon immer in dieser Welt noch etwas zu sehen, was drüber hinausgeht, also was irgendwie noch eine zweite Ebene, wie in einem Gemälde auch, wenn ich lange genug draufschaue dann plötzlich eröffnet sich hinter dieser dargestellten Situation noch eine zweite Ebene, und das versuche ich mit den Filmen auch zu machen."

Die Auswahl und der Sound macht's

Die Bilder sind oft einfach so eingefangen, wie Brech sie vorgefunden hat. Die künstlerische Arbeit steckt in der Auswahl des Ausschnitts, in der Verlangsamung und im Umgang mit der Musik, die einiges Gewicht hat. "Sound of Raasay" zeigt einen 180 Grad Schwenk über eine Küstenlandschaft. Langsam gleitet die Kamera auf Horizonthöhe über das Wasser, das Licht ist schummrig, Himmel und Meer verschwimmen im gleichen Grau, langsam schieben sich die Ausläufer der Küste ins Bild, unterlegt von einem unendlich langsamen Horn-Solo aus Tristan und Isolde, das hier eher an Walfischgesänge oder ein Schiffshorn erinnert. Archaisch, mythisch wirkt die Szenerie, hier irgendwo muss Ossian wohnen. Dann ein dunkler Streifen Land, näher als die bisherigen, nach und nach wird klar, dass rechts von der Kamera ein Berg gewesen muss. Unaufhaltsam schiebt er sich ins Bild, immer größer und immer dunkler frisst er die Landschaft nach und nach auf.

Offenheit für die Betrachtenden

"Die Filme sind auf gewisse Art sehr abstrakt, damit sich der Betrachter auch einbringen kann mit seiner eigenen Geschichte", sagt Brech. "Mit dem Film, den ich projiziere, gibt es eine Projektionsfläche für den Betrachter, um seine eigene Geschichte und seine eigene Ideen mit unterzubringen. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, dass man nicht alles vorgibt, dass man echt Leerstellen lässt in diesem Film, wie bei Malerei. "Ich hab ja Malerei studiert und das wichtigste ist natürlich diese Offenheit von so einem Bild, das nicht jeder Millimeter ausgemalt ist."

Gerade einmal 30 Minuten dauern die hintereinander gezeigten Videos, zu sehen sind sie auf einer einmalig großen, schräg im Raum stehenden Wand von 14 Metern Breite. Besser kann man nicht eintauchen in die Bildwelt von Christoph Brech – und in die Welt hinter diesen Bildern.

Die Ausstellung "Christoph Brech. Roundabout" ist bis 23.04.2023 im Neuen Museum Nürnberg zu sehen.

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