ARCHIV - 24.10.2018, Großbritannien, London: Autor Salman Rushdie. Am 20.04.2023 erscheint sein neues Buch "Victory City". Das Buch erscheint am 20.04.2023 im Penguin Verlag. (zu dpa-Korr "Salman Rushdies neuer Roman «Victory City»: Ein modernes Epos") Foto: Matt Crossick/PA Wire/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Man solle den neuen Roman nicht aus Mitleid lesen: Salman Rushdie, hier 2018 in London

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Neuer Roman "Victory City": Salman Rushdie trotzt Bedrohung

Geschrieben hatte er sein neues Buch vor der fatalen Messerattacke: Heute erscheint "Victory City" von Salman Rushdie auf Deutsch. Man solle den Roman nicht aus Mitleid lesen, sagt der Autor. Er wolle kein Opfer sein.

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Seine Hand will nicht mehr gut schreiben. Er hat nur noch wenig Gefühl in den Fingerspitzen. Doch Salman Rushdie kann inzwischen darüber reden. Seit dem Anschlag im vergangenen August hatte er das nicht getan, bis sein neuer Roman im Februar in den USA herauskam. Rushdie selbt kam auch wieder hervor, mit Hilfe eines befreundeten Journalisten des Magazins "New Yorker".

David Remnick fragte ihn, wie er die Messerattacke verarbeitet hat. Rushdie antwortete, er habe große Verletzungen über der rechten Wange, auch Wunden in der Brust und der Leber. Eine der bösesten Folgen des Anschlags zeigt der lächelnde Rushdie auf einem Foto, das er auf Twitter postet. Ein Sonnenbrillenglas verdeckt darauf das rechte Auge. Durch den Angriff hat Salman Rushdie es verloren.

Rushdie möchte kein Opfer sein

Er habe versucht, nicht in die Rolle eines Opfers zu gleiten, sagt der 75-Jährige in Auszügen des Interviews im Radiosender NPR – sonst würde er doch da sitzen und sich fragen müssen, warum jemand mit einem Messer auf ihn eingestochen hat. Rushdie sagt allerdings auch, das tue er oft. Und auch, dass es ihm wehtue, nicht nur körperlich. Das Messer seines Angreifers hat Rushdie auch einen Stich in die Seele gegeben.

Die Waffe eines 24-Jährigen, der mutmaßlich tat, was der ehemalige iranische Religionsführer Chomeini 1989 mit einer Fatwa gegen Salman Rushdie forderte: den Autor für seine Gotteslästerung im Buch "Die satanischen Verse" zu töten. Lange war Rushdie untergetaucht, bis er in den 1990er-Jahren nach New York zog und dort allmählich wieder der Freiheit vertraute, ein Leben fast ohne Sicherheitsmaßnahmen führte.

Der Bedrohung trotzen

Diesen Trotz habe Rushdie beibehalten, sagt David Remnick: "Er ist jetzt so trotzig wie zur Hochphase der Fatwa, obwohl die offensichtlich ja nie vorbei war. Er ist entschlossen weiterzuschreiben. Er ist wieder glücklich verheiratet. Er tut das Beste, was er kann. Aber ohne Frage hat er einen hohen Preis bezahlt."

Rushdie spricht selbst von einem posttraumatischen Stresssyndrom, das der Angriff in einer Bildungseinrichtung in Upstate New York bei ihm ausgelöst habe. Doch eins will er nicht: "Die Leute sollten das Buch nicht aus Mitleid lesen, sondern weil sie die Geschichte lesen wollen." Darum muss sich Rushdie erst mal keine Sorgen machen. Der Roman, den der indisch-britische Schriftsteller wenige Wochen vor dem Anschlag fertig geschrieben hatte, wird seit Wochen in den USA quer durch die Kritiken gefeiert – als feministischer Roman. Und dafür ist Rushdie nicht unbedingt bekannt gewesen.

Ein Waisenmädchen gegen das Patriarchat

"Victory City" ist die Geschichte des indischen Waisenmädchens Pampa Campana. Sie erhält von einer Göttin übernatürliche Kräfte und gründet die Stadt Bisnaga, deren Name übersetzt "Stadt des Sieges" heißt. Campanas Handeln beruht auf der großen Aufgabe, die ihr die Göttin gestellt hat: den Frauen eine gleichberechtigte Rolle zu geben. Das betont auch der New Yorker Autor Remnick: "Es ist interessant. Salman Rushdie ist, wie andere männliche Schriftsteller, schon dafür kritisiert worden, dass er nicht feministisch genug ist. Ich denke, das hier ist ein klar feministisches Buch. Die Heldin, die die Geschichte erzählt, ist eine Frau, die zumindest vorübergehend das Patriarchat besiegt."

Es sei eines seiner stärksten Bücher in den vergangenen 20 Jahren, sagt David Remnick. Ein unbewusst versetzter Hieb auch gegen das iranische Regime, in dem seit Monaten Frauen für mehr Rechte demonstrieren. Ein Buch, mit dem sich Salman Rushdie wie schon so oft als Kämpfer für Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit positioniert.

Morgen wichtiger als gestern

Dieses Buch stehe für sich allein, meint auch die mit Rushdie befreundete Filmemacherin Deepa Mehta: "Ich bin so froh, dass ich das Buch vor dem Anschlag gelesen habe. Und dann noch mal danach. Natürlich habe ich gedacht: 'ja, das ist ironisch, was passiert ist'. Aber niemals habe ich gedacht, dass das Buch dadurch an Bedeutung gewonnen hat. Es war schon vorher so stark, denn es ist brillant."

Auch wenn es sonst nicht die Art des Autors mit dem nicht ganz kleinen Ego ist: Rushdie ist aus verschiedenen Gründen nicht persönlich mit seinem Buch auf Tournee. Doch eins, sagt der Autor, habe die Veröffentlichung in ihm ausgelöst: Er sei zurück. "Ich bin damit fertig geworden, weil ich nicht zurück, sondern nach vorne geschaut habe", so Rushdie. "Was morgen passiert, ist wichtiger als das, was gestern war."

Salman Rusdhie: "Victory City" ist in der Übersetzung von Bernhard Robben beim Penguin Verlag erschienen. 416 Seiten, 26Euro.

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