Seit Wochen fiebert die deutsche Literatur- und Medienwelt gespannt dem neuen Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre entgegen. Weil es Stuckrad-Barre ist. Aber mehr noch, weil das Buch als Schlüsselroman gilt, der - nur dürftig verschleiert - von MeToo-Fällen bei Springer erzählt.
Stuckrad-Barre hat selbst ein Jahrzehnt bei der Axel Springer AG gearbeitet und engen Kontakt zu Ex-Bild Chefredakteur Julian Reichelt sowie Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner gepflegt. Er hat sich jedoch nach seiner Zeit bei Springer auch immer wieder negativ über das Vorgehen einiger Führungskräfte geäußert.
Begeisterung und Kritik in den Sozialen Medien
Gestern nun kam "Noch wach?" heraus – und hat bereits jetzt zahlreiche Reaktionen provoziert.
Auf Instagram bewerben und freuen sich viele über den neuen Roman, Reaktionen, welche Benjamin von Stuckrad-Barre auch fleißig teilt. Unter anderem von Sophie Passmann und Deichkind:
Auf Twitter ist die Diskussion um "Noch Wach?" vielseitiger. Jan Böhmermann erzählt von seinen Gedanken, während er das Buch liest:
Nach der anfänglichen Euphorie setzt bei ihm dann allerdings doch eine gewisse Enttäuschung ein:
Eine Kritik, mit der Böhmermann nicht alleine ist. Christopher Lauer, Politiker und Publizist, hat eine ähnliche Sichtweise. Er wirft Stuckrad-Barre Opportunismus vor:
Ähnlich auch der Autor und Gründer einer Werbeagentur Alf Frommer:
Metoo-Solidarisierung am Strand
Eine Kritik gegenüber dem medialen Hype kommt von Journalistin Mareice Kaiser. Sie merkt an, wie privilegiert Stuckrad-Barres Situation ist, während er über MeToo-Skandale schreibt:
Dieser Meinung sind mehrere Twitter-User wie zum Beispiel @_stephen_david:
Philipp Jessen vergleicht "Noch wach?" mit einer Dating-Reality-Show:
Kritische Stimmen auch im Feuilleton
Neben Meinungen auf den sozialen Medien gibt es auch Stimmen aus dem Feuilleton. So ziehen Marc Felix Serrao und Lucien Scherrer in der NZZ das Fazit, Benjamin von Stuckrad-Barre habe "kein Buch über, sondern gegen Springer geschrieben. In den Kreisen, in denen man diesen Verlag und vor allem 'Bild' schon immer verachtet hat, wird man es begeistert aufnehmen und eifrig zitieren. Das literarische Urteil bleibt davon unberührt. Auch ein gut geschriebenes Pamphlet bleibt ein Pamphlet."
Marlene Knobloch schreibt in der Süddeutschen Zeitung: "Ab und zu" bekomme Stuckrad-Barre "einen unerträglichen Twitter-Sarkasmus, spielt Diskurs-Bingo und kommentiert alte rechte Kamellen wie 'LINKSGRÜNVERSIFFT-VERLOGENE Doppelmoral'. Das will man schon nicht mal mehr in Online-Kommentaren lesen, noch weniger will man das in einem Roman lesen." Sie ist der Meinung, das Buch sei eine vertane Chance, mehr vom Innenleben des Stuckrad Barre zu erfahren. "Dabei hätte man das gern erfahren, wie das ist, wenn ein hochbegabter, in den Nullerjahren sozialisierter Ex-Springer-Freund, der dann doch recht männerdominant Gatsby, Hitchcock, Dietl, Bret Easton Ellis zitiert und Lars Eidinger vergöttert ('was für ein Genie'), wenn so jemand etwas verstanden oder nicht verstanden hat, wenn so jemand Angst hat, falsch abzubiegen, wenn so jemand bereut, sich quält, sich aufrafft."
In der Zeit sieht Volker Weidermann Positives wie Negatives: "Es ist ziemlich eindrucksvoll, wie es Stuckrad-Barre gelingt, die Mechanismen von Machtmissbrauch und Mitmachen im Turm psychologisch klug und nachvollziehbar darzustellen." Doch Weidermann stellt auch fest, dass Stuckrad-Barre die letzte Konsequenz fehlt: "Wäre dieses Buch, von dem wir hier sprechen, ein Sachbuch mit namentlich gekennzeichneten Zeugenaussagen und gerichtsfesten Belegen, würde der Turm noch heute zu Staub zerfallen. Aber es ist nur ein Roman. Der Turm steht."
BZ Journalist Tomasz Kurianowicz plädiert für eine analytische Sicht auf den ganzen Medienrummel und stellt sich u.a. diese Fragen: "Wie stark ist also der Roman von Rache-Motiven geprägt? Und ist das Motiv 'Rache' für die Abrechnung mit dem System Springer das richtige Motiv? Und ist ein Roman, eine fiktionale Verarbeitung der Realität, die richtige Form, um über die Existenzen von Menschen zu richten? Wie gehen wir damit gesellschaftlich um, wenn Realität und Fiktion immer mehr verwischen?"
Lautes Schweigen zum Roman kommt bisher hingegen von Julian Reichelt und Mathias Döpfner. Reichelt lasse aber laut Tagesspiegel ein juristisches Vorgehen gegen den Roman prüfen.
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