Heinz Strunk beißt genüsslich in ein Lachsbrötchen, während er Ende Mai über die Strandpromenade von Niendorf spaziert und feststellt: "Ist noch gar nichts los, ne, bei dem Wetter." Es ist einer der letzten kühlen Tage des Frühlings. Strunk trägt Lederjacke und Wollmütze. Der Himmel ist komplett bewölkt, die Strandkörbe sind verwaist.
Große Träume in Niendorf
Hier hat der Autor seinen neuen Roman "Ein Sommer in Niendorf" angesiedelt. Der Protagonist Georg Roth, 51, erfolgreicher Wirtschaftsanwalt, hat für drei Monate ein Apartment mit Meerblick gemietet, um seine Familiengeschichte aufzuschreiben. Er träumt schon von einem Bestseller. Aber Roth hat erstens kein Talent zum Schreiben und wird zweitens unaufhörlich von Markus Breda gestört, dem penetranten Verwalter seines Apartments.
"Das wäre hier das Apartmenthaus", erzählt Strunk als wir das Haus passieren. "Tatsächlich ist es so, dass der Herr Breda, der natürlich in Wirklichkeit anders hieß, einige Apartments vermietete und ich im Jahre 2009 oder 2010 die verrückte Idee hatte, drei Monate hier in Niendorf zu verbringen. Aber nach zwei Wochen wurde mir das so langweilig, dass ich davon Abstand genommen habe. Aber ich habe mich dann mit dem Typen angefreundet."
Ein norddeutsches "Tod in Venedig"?
Im wunderbar skurrilen, aber auch berührenden Roman überredet der Alkoholiker Breda, der außerdem Inhaber eines Spirituosenladens ist, Roth so oft zum Trinken, dass auch der ein Alkoholproblem bekommt und sich gehen lässt. Der Verlag hat den Roman als eine Art norddeutscher "Tod in Venedig" angekündigt. Und tatsächlich verliert auch der Schriftsteller Gustav von Aschenbach, ebenfalls Anfang 50, in Thomas Manns Novelle seine Selbstbeherrschung. Aschenbach verliebt sich in einen Jungen und Roth in eine junge Kellnerin, die ihm die kalte Schulter zeigt. Irgendwann werde sie sich ihm schon hingeben, phantasiert sich Roth in seiner Midlife Crisis zusammen.
Das Älterwerden beschäftigt auch Heinz Strunk: "Das ist eigentlich ein dauerpräsentes Thema. Genauso wie der Tod und allgemein Vergänglichkeit. Wie lange gilt man noch als halbwegs ansehnlich, attraktiv und so? Jetzt, wo ich 60 geworden bin, ist das ja ein Alter, wo man früher schon Opa war. Und ich versuche, das noch ein paar Jahre herauszuzögern. Natürlich ist es so, dass die Figur Roth sehr viel auch von mir hat." Dazu gehört auch das frühere Alkoholproblem des Autors.
Die Möglichkeit eines anderen Lebens
Wir haben die Seebrücke betreten. Heinz Strunk deutet auf den Horizont: "Da, also ganz grobe Richtung, ist dann auch Dänemark." Roth entspannt abends auf dieser Seebrücke auf einer Bank mit Panorama-Blick aufs Meer. Einmal wird er allerdings von Bredas übergewichtiger Freundin gestört. Erst findet er sie abstoßend, bald zieht sie ihn zu seiner eigenen Überraschung an. Überhaupt ist der anfangs recht unsympathische Roth am Ende dieses Romans ein anderer Mensch. Der Hamburger Anwalt erlebt zwar den sozialen Abstieg, indem er in Niendorf bleibt und einen Strandkorbverleih eröffnet, aber insgesamt scheint er zufriedener zu sein als zuvor.
Auch der Autor, Musiker und Entertainer Strunk hat sich schon gefragt, ob er nicht glücklicher wäre, wenn er etwas ganz anderes machte: "Ich müsste mich jetzt mal ein Jahr lang in die Niendorfer Strandkorbszene begeben, um dann sagen zu können: Werde ich den Weg zurücknehmen in den Strunkschen Tätigkeitsbereich, den man so kennt, oder werde ich hier als Strandkorbverleiher glücklich?" Heinz Strunk rüttelt an der Verriegelung eines abgeschlossenen Strandkorbs. Keine Chance, sich hineinzusetzen. Die Strandkorbverleiher haben an diesem trüben Tag schon um Mittag Feierabend gemacht.
Das Glück des verlässlich Gleichen
Auch der Strandspaziergang mit Heinz Strunk geht zu Ende. Aber der Autor wird wiederkommen. Bis zu dreißig Mal war er schon in Niendorf. Die "spießige Ruhe" hier ziehe ihn an: "Ich bin da tatsächlich so ein Helmut-Kohl-Typ. Helmut Kohl war auch in seinem Leben 25 Mal am Wolfgangsee und findet das gut, nicht ständig Neues zu erleben, sondern das Gewohnte, auf das man sich freut und wo man weiß, wo alles ist. Eine Weltreise zum Beispiel ist für mich unvorstellbar. 'Reisen ist des Narren Himmelreich.' Das ist mein Lieblingssatz."
Heinz Strunk: "Ein Sommer in Niendorf" ist am 14. Juni bei Rowohlt erschienen.
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