Demonstranten mit Transparent "Klima retten"
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Klimaschützer-Demo in Lützerath

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"Negative Gefühle": Debatte um Klimaschützer und Doppelmoral

Weil Aktivisten auf einer Demo gefordert hatten, "Öl zu sparen" und trotzdem in den Urlaub nach Südostasien flogen, ist die Empörung groß. An Spott und Häme herrscht kein Mangel. Soziologen empfehlen, nicht auf "willensschwache Personen" zu setzen.

Aus Sicht der prominenten Klimaschützerin Carla Hinrichs wurde das sprichwörtliche "Haar in der Suppe" gefunden. Jedenfalls ist die Aufregung groß, nicht nur in den Reihen der Aktivisten. Der Anlass: Zwei Demonstranten müssen sich derzeit vor dem Amtsgericht Bad Cannstatt wegen Nötigung verantworten, weil sie im September vergangenen Jahres die Bundestraße 10 bei Stuttgart blockiert hatten. Zu einem Prozesstermin waren die beiden Personen aber nicht erschienen, weil sie laut BILD-Zeitung in den "Badeurlaub" geflogen waren. Das Boulevardblatt nannte als Reiseziel "Bali" und legte mit der Schlagzeile nach: "Die verlogene Welt der Klimakleber".

"Vielen von uns geht es so"

BILD rechnete vor, dass auf so einem Flug rund 140.000 Liter Kerosin verbrannt würden. Die Klimaschützer hätten jedoch auf der besagten Demo ein Transparent mit der Aufschrift "Öl sparen statt bohren" mit sich geführt. Jetzt wird nicht nur auf Twitter, wo das Thema ganz vorn rangiert, heftig gestritten. "Natürlich können wir nachvollziehen, dass negative Gefühle ausgelöst werden – gerade bei ökologisch bewusst lebenden Menschen –, wenn Protestierende der Letzten Generation in ein Flugzeug steigen. Vielen von uns geht es so", heißt es in einer Stellungnahme von Carla Hinrichs, die selbst schon wegen der Beteiligung an einer Protestaktion einen Strafbefehl des Amtsgerichts Frankfurt zugestellt bekam.

Den umstrittenen Flug verteidigte Hinrichs mit dem Hinweis, die beiden Aktivisten hätten vor, "dort mehrere Monate zu bleiben". Derzeit befänden sie sich auch nicht in Bali, sondern in Thailand, was mit dem Gericht abgesprochen sei. Weiter schreibt die bekannte Klimaschützerin: "Individuelles Verhalten ist nicht unwichtig, im Gegenteil. Hier in Deutschland gehört ein großer Teil der Menschen zu den reichsten Prozenten der Welt, die am meisten zur Klimakrise beigetragen haben und beitragen. Dass sich das verändert, muss politisch beschlossen werden." Auf den Vorwurf der "Doppelmoral" reagierte Hinrichs mit Vorwürfen gegen Bundeskanzler Olaf Scholz, der das Abbaggern von Braunkohle nicht stoppe und den Freistaat Bayern, der "keine Windkraftanlagen" haben wolle.

"Eigenes Leben umstellen ist keine Voraussetzung"

"Sich politisch gegen den Klimakollaps zu engagieren, geht oft damit einher, das eigene Leben umzustellen. Es ist jedoch keine Voraussetzung, dies zu tun. Insbesondere beeinflusst es auch nicht, wie richtig oder falsch Forderungen an die Bundesregierung sind", so Hinrichs. Ein anderer Sprecher der Klimaschützer hatte erklärt, die beiden Aktivisten hätten ihren Flug "privat" gebucht, "nicht als Klimaschützer".

In Netz-Kommentaren wird ironisch gefragt, es sei offenbar aus der Sicht der Demonstranten kein Widerspruch, als "Privatperson" nach Südostasien zu jetten: "Warum darf man dann private Pkws am Weiterfahren hindern?" Andere schimpften, das alles sei "schon ein starkes Stück" und fragten, warum CDU-Chef Friedrich Merz für einen Flug nach Sylt attackiert worden sei, der sei ja schließlich auch "privat" gewesen. Natürlich ist auch viel Häme im Spiel, im Urlaub ließen es die Klimaschützer offenbar krachen: "Danach kleben sie sich mit sonnengebräunter Haut auf die Straßen, bewerfen unersetzliche Kunstwerke mit der übriggebliebenen Sonnencreme und stürzen sich auf kleine Kinder, die ihre Papierflieger starten lassen."

Neben Hohn und Spott sind allerdings auch nachdenkliche Tweets zu lesen: "Das Verhalten der Klimaschützer hat Auswirkungen darauf, wie die Gesellschaft sie und ihr Anliegen wahrnimmt. Und dass die dann von ihren 'Arbeitgebern' damit entschuldigt werden, dass die Reise 'privat' sei (d.h. die Aktivisten werden bezahlt?) machte es nur noch schlimmer." Ein weiterer Twitter-Teilnehmer gab zu bedenken, die Debatte sei Anlass, "über das Flugverhalten generell zu diskutieren". Sympathisanten der Klimaschützer seufzten, mit ihren Argumenten hätten sie ihren Gegnern leider "Futter ohne Ende" geliefert.

Oliver Pocher: "Genau mein Humor"

In den Medien, auch in denen aus Österreich und der Schweiz, nimmt die Auseinandersetzung um angebliche "Doppelmoral" und "Heuchelei" breiten Raum ein. Satiriker Oliver Pocher twitterte nach einem Flug in die USA ironisch, er habe "was für die Klima-Bilanz gemacht, bevor ich dann nach Bali fliege, um mich auf der Straße festzukleben, oder an einen Baum". Die Unterscheidung zwischen "Klimaschützer" und "Privatperson" bezeichnete er als "genau mein Humor".

"Jeder trägt Doppelmoral in sich"

Der Vorwurf, Klimaschützer hielten sich im eigenen Leben nicht an die von ihnen propagierten Grundsätze ist nicht neu. Schon im vergangenen April hatte der Umweltpsychologe Andreas Homburg von der Hochschule Darmstadt der "Welt" gesagt: "Findet man heraus, die leben doppelmoralisch, sagt man sich auch los von denen. Will eine Firma etwa umweltfreundlicher werden, der Chef fährt aber weiter SUV, passt das nicht. Obwohl natürlich jeder eine Doppelmoral in sich trägt." Das könne jedoch psychologisch genutzt werden, so der Fachmann: "Eine Studie mit Schwimmerinnen hat etwa gezeigt: unterschreiben sie vorher eine Petition, duschen sie kürzer. Sie waren sich also ihres schlechten Gewissens bewusst."

Der Gesellschaftswissenschaftler Sighard Neckel von der Universität Hamburg hatte in einem aufschlussreichen Essay über die "Klimakrise und das Individuum" geschrieben: "Die willensschwache Person weiß um das Gute, nur ist es ihr im Moment des Handelns nicht präsent, weshalb sie im Handlungsmoment einer Unterstützung, einer Erinnerung, eines Anreizes bedarf, das Gute tatsächlich zu tun." Die einzelne Person in den Mittelpunkt des Klimaschutzes zu stellen, greife "entschieden zu kurz", kritisiert Neckel: "Die Bürger sind es, die sich von den Grillfesten in den Reihenhaussiedlungen bis zu den Küchentischen großstädtischer WGs untereinander zerstreiten, wer von ihnen die größte Klimaschuld auf sich lädt."

"Je heller die Einzelnen, desto erhellter das Ganze"

Mit Sinn für Ironie zitiert Neckel aus dem teils polemischen Essay "Theorie der Halbbildung" (1959) von Theodor W. Adorno, wo der "Verfall der Bildung" beklagt und ein naiver Idealismus kritisiert wird: "Je heller die Einzelnen, desto erhellter das Ganze." Statt auf das Gute im einzelnen Menschen zu setzen, sei es wichtiger, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu ändern, so Neckel, und das sei Aufgabe der Regierungen: "Verwandelt sich Klimaschutz in eine eigenverantwortliche Aufgabe der Person, wird er von der öffentlichen in die private Sphäre verschoben. Hier aber, im privaten Bereich, unterliegen die Bemühungen um eine ökologische Lebensführung einem selbstinduzierten Scheitern."

Felix Ekardt von der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit hatte im Dezember in der ZEIT geschrieben: "Wir wissen aus der Verhaltensforschung, dass Faktenwissen und Werthaltungen das menschliche Verhalten nur sehr begrenzt beeinflussen. Eigennützige Wünsche nach einem bequemen, angenehmen, üppigen Leben mit vielen Reisen, großen Wohnungen und täglichen Autofahrten auch in Städten sind oft stärker und drücken zugleich unsere eher unbewusste Vorstellung von Normalität aus." Der Experte kritisierte die "ewige Neigung zu Ausreden", die für das Klima fatal seien und sprach von einer "irrealen Denkweise", die beharrlich andere verantwortlich mache: "Denn das Zeigen allein auf Einzelne weckt ein Sündenbock-Denken und damit das Schlechteste im Menschen."