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Nachtkritik: "Zur schönen Aussicht" am Schauspielhaus Zürich

In Ödön von Horváths Komödie "Zur Schönen Aussicht" von 1926 schickte der Nationalsozialismus schon seine Schatten voraus. Jetzt wird der Stoff für die Gegenwart adaptiert. Gestern war Premiere am Schauspielhaus Zürich.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Natürlich ist der Stücktitel ironisch. Aber nicht, weil der Blick aus den Zimmern des Hotels nicht hält, was dessen Name verspricht (darüber lässt sich Ödön von Horváth nicht aus), sondern weil die Aussichten für Betreiber und Belegschaft betrüblich sind; und weil das Hotel selbst einen trostlosen Anblick bietet. Diesbezüglich hat sich Bühnenbildnerin Bettina Meyer eng an die Vorgaben des Autors gehalten. Die Bühne im Züricher Schiffbau zeigt eine Hotelhalle mit fleckigem Teppich und Wandverkleidungen in schäbigem Marmor-Imitat. Über eine Flügeltreppe geht es hoch auf eine Galerie und von dort in die Zimmer, die allerdings fast ausnahmslos leer stehen, bis auf eines. Einziger Gast ist eine flüssige Freifrau, an deren Geldhahn alle hängen wie Todkranke am Tropf: der bankrotte Hoteldirektor Strasser sowieso, aber auch der kriminelle Chauffeur Karl und der verlotterte Kellner Max.


Horváth als Bild der modernen Gesellschaft


Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben. In den 50er Jahren womöglich. Einzige der Flachbildfernseher in der Lobby verrät, dass die Züricher Intendantin Barbara Frey ihre Inszenierung wohl doch in der Gegenwart angesiedelt hat. Nur leben die Herren des Hotels noch im gestern, was sich nicht nur am Einrichtungsgeschmack ablesen lässt, sondern vor allem am Geist, der hier herrscht. Auch wenn sie längst abgewirtschaftet haben: diese Männer, wir ergänzen: weißen, heterosexuellen Männer hängen noch immer einem Weltbild nach, in dem sie den Ton angeben. Es ist dasselbe Weltbild, das die Donald Trumps dieser Erde zurückhaben wollen – auch wenn die Zeichen der Zeit dagegen stehen. „Die Erdachse soll sich verschoben haben“, sagt im Stück einmal Kellner Max, und es gehört zu den Stärken von Barbara Freys Inszenierung, dass man meint, aus solchen Sätzen ein Unwohlsein der Figur herauszuhören; ein Unbehagen darüber, dass sich die Koordinaten der Weltordnung zu ihren und ihresgleichen Ungunsten verschoben haben. So wird Horváth in Zürich zum Vorlagengeber für das Bild einer Gesellschaft, die trotzig an einem überholten Weltbild festhält. So weit, so überzeugt. „Zur schönen Aussicht“ ist aber auch eine gallige Komödie. 


Im Hotel taucht plötzlich Christine auf. Die junge Frau hatte vor einem Jahr eine Affäre mit Hoteldirektor Strasser und nun ein Kind von ihm. Strasser fürchtet, Christine wolle Unterhaltszahlungen von ihm, und gewinnt die anderen Herren im Hotel zu einer perfiden Schmierenkomödie: alle behaupten, mit Christine im Bett gewesen zu sein und beschimpfen sie als Hure. Übelste Verleumdung. Doch Horváth gibt der Handlung eine Komödienwendung. Was die Männer nicht wissen: Christine hat geerbt und ist vermögend. Als sie es schließlich verkündet, stehen die Herren der Schöpfung belämmert da. So kommt es zur Verkehrung der Verhältnisse: die Männer machen nun Christine auf groteske Weise den Hof, aber sie, die von Strasser „als Bettelkind gefreit“ werden wollte, emanzipiert sich und reist ab.


Die Komödie wird runtergedimmt


Barbara Frey scheint ihr Gesellschaftsportrait so wichtig, dass sie alles Komödiantische in ihrer Inszenierung so gut es geht meidet – womöglich aus Sorge, der Ernst könnte in der Komik verloren gehen. Selbst Michael Maertens als Strasser – ein Schauspieler, der sonst keine Pointe auslässt, wo sich ihm einen bietet – wirkt aufs Düstere heruntergedimmt. So aber verliert das Stück Horváths bitteren Biss. Stattdessen liegt etwas Bleiernes über dem Abend, der sich zunehmend zäh dahinschleppt. Schade. Denn der Ansatz, Horváth als Diagnostiker unserer Zeit zu bemühen, erweist sich durchaus als stimmig, das muss man Barbara Frey bei aller Kritik zu Gute halten.