Schild der Lach- und Schießgesellschaft
Bildrechte: Simon Emmerlich

Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft ist insolvent.

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Nach Lach- und Schieß-Insolvenz: Wie geht es dem Kabarett?

Die Münchner Lach- und Schieß ist dicht. Das bedeutet nicht nur das vorläufige Ende einer Spielstätte, sondern einer langen Ära des politischen Kabaretts. Was heißt das für diese Kunstform allgemein? Und wie steht es um die Politsatire im Land?

Erst, vor gut zwei Wochen, die Einstellung des Spielbetriebs auf der geschichtsträchtigen Kabarettbühne im Münchner Stadtteil Schwabing. Dann, eine Woche später, der Insolvenz-Antrag. Die legendäre Lach- und Schießgesellschaft – seit 1956, als Sammy Drechsel und Dieter Hildebrandt sie aus der Taufe gehoben haben, das Flaggschiff des politischen Kabaretts in Deutschland – ist finanziell schwer leck geschlagen. Grund zu Untergangsstimmung für den Satirestandort Deutschland?

Die Gesellschafter der Lach- und Schieß, namentlich Bruno Jonas und Laila Nöth auf der einen und Stefan Hanitzsch auf der anderen Seite, haben sich zerkriegt, unter anderem über die Frage, wie der Laden (so nennen Fans und Fachleute die Bühne an der Münchner Haimhauserstraße) profitabel zu führen sein könnte. Daraus könnte man schließen, dass sich für politisches Kabarett nicht mehr genug Publikum finden und damit kein Geld mehr verdienen lässt. Ein Grundsatzproblem? Oder ist die Lach- und Schieß doch eher ein Spezialfall?

Wenige Sitzplätze, aber eigenes Ensemble

Wegen der nur rund 100 Sitzplätzen war es auch bei ausverkauftem Haus nie wirklich möglich, mit dem Laden allein Kasse zu machen. Aber die Lach- und Schießgesellschaft war ja mehr als eine Spielstätte. Sie unterhielt zudem ein eigenes Ensemble, und das trat in seinen Anfangsjahren auch regelmäßig im Fernsehen auf.

Unter dem Titel "Schimpf vor Zwölf" wurden die Programme an Silvester übertragen. Und weil es noch kein Internet gab und nur wenige TV-Programme, erreichte die Münchner Kabarett-Truppe ein Millionenpublikum, die sprichwörtliche Fernsehnation. Zudem tingelte sie durch die ganze Republik – mit immensem Erfolg: Viele wollten die bildschirmbekannten Satirestars einmal live gesehen haben. Das lukrative Tour-Geschäft finanzierte auch den kleinen Laden daheim in Schwabing. Ein Modell, das heute, da die Medienlandschaft unendlich viel breiter geworden ist und der Kampf um Aufmerksamkeit deutlich härter, längst nicht mehr funktioniert.

Siegeszug der Comedy

In den 1990ern begann der Siegeszug der Comedy. Das bedeutete keineswegs das Aus für politisches Kabarett, wohl aber stürzte es das Ensemble-Kabarett in eine Krise. Statt Spielszenen oder Dialogen, die gern mal wie gespielte Witze mit Schlusspointe altbacken und betulich wirkten, war nun zunehmend klassisches "Stand-Up" angesagt: Ein Mann (seltener eine Frau), ein Mikro – mehr brauchte es nicht. Vielleicht noch ein Instrument, aber eben keine Spielpartner, die sich die Pointen wie Bälle zuwarfen. Bestes Beispiel: Lach-und Schieß-Gesellschafter Bruno Jonas selbst, der Anfang der 1980er-Jahre erst Ensemblemitglied an der Haimhauserstraße war, ehe er dann solo groß Karriere machte.

Jonas ist übrigens das, was man bis heute einen typischen Polit-Kabarettistin nennen kann. In seinen Bühnenprogrammen geht es immer auch um die gesellschaftlichen Verhältnisse im Land, mitunter auch um das politische Tagesgeschäft. Einen Gutteil seiner Popularität verdankt Jonas denn auch einem entsprechenden TV-Format. Er war erst Partner, dann Nachfolger von Dieter Hildebrandt im ARD-Satire-Magazin "Scheibenwischer".

Politisches Kabarett, neu gedacht

Neben dieser klassischen Form der Politsatire hat sich aber mit Beginn der 1990er Jahre eine andere Spielart entwickelt, für die an dieser Stelle Andreas Rebers als prototypisch genannt sei. Rebers war ebenfalls zeitweise Autor und Spieler im Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft. Als Solist jedoch trat er bald unter dem Motto: "Lassen Sie uns über Sie reden, denn Sie sind ja da!" auf. Mit "Sie" war das Kabarettpublikum gemeint, und mit Rebers Ansage die Abkehr von einer Form von politischen Kabarett, die sich vor allem darauf konzentrierte, mit dem Finger auf Politiker und ihre Verfehlung zu deuten. Rebers dagegen konfrontierte das Publikum mit den Widersprüchen in dessen eigenem Denken und Handeln. Er suchte und sucht bis heute nicht den Schulterschluss mit seinen Zuschauern, um sich gemeinsam mit ihnen über "die da oben" aufzuregen, die davon eh nichts mitbekommen, sondern arbeitet selbsterkenntnisfördernd an der Basis – in Gestalt der Menschen, die vor ihm sitzen.

Im Kabarett ist das bis heute nach wie vor eine eher besserverdienende, bildungsbürgerliche Klientel, die sich tendenziell politisch linksliberal und auf Seiten der Schwachen verortet, selbst aber ein meist privilegiertes Leben führt. In dieser offenen Flanke stochert Rebers mit Hingabe herum. Ähnlich praktizieren das Kollegen wie Alfred Dorfer oder Josef Hader und einige mehr. Politisches Kabarett, neu gedacht, das das Politische im Privaten aufspürt.

Die alte Schule funktioniert aber ebenfalls nach wie vor. Vor allem da, wo mediale Aufmerksamkeit herrscht und entsprechendes Empörungspotential besteht. Wenn sich ein Kabarettist mit seinem Publikum in einem Kleinkunstkeller oder auf einer Minibühne wie der der Münchner Lach- und Schießgesellschaft über die große Politik echauffiert, mag das eine Ventilfunktion für die Versammelten haben, juckt "da draußen" aber niemanden.

Funktion eines Korrektivs

Anders verhält es sich, wenn dergleichen im Fokus breiter Öffentlichkeit geschieht. Die Wellen etwa, die manche Ausgaben von Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale schlagen, zeugen davon, dass politische Satire durchaus nicht folgenlos bleiben muss. Ähnliches gilt für das traditionelle Politiker-Derblecken beim Starkbieranstich auf dem Münchner Nockherberg, das am kommenden Freitag wieder stattfindet. Eine Sonderform des politischen Kabaretts, denn hier schließt das Publikum die kritisierten Politiker persönlich mit ein. In diesem Fall ist die Ventilfunktion fürs restliche Publikum besonders groß, weil man die Opfer des satirischen Spotts ein wenig leiden sehen kann, wenn sie sich ein Lächeln abringen über Witze auf ihre Kosten.

Kabarettist Maximilian Schafroth, der den Politikern heuer wieder in seiner Fastenrede die Leviten lesen wird, hält die Möglichkeit, dass so eine Veranstaltung stattfinden kann, dann auch für "die Essenz von Demokratie. In vielen Ländern der Welt wäre das nicht möglich."

Insofern hat politisches Kabarett auch die Funktion eines Korrektivs. In Anlehnung an den Journalismus als sogenannter vierter Gewalt im Staat könnte man von der fünften Gewalt sprechen.

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