Greenpeace ruft dazu auf, Gastro-Betriebe zu melden, die gegen die Mehrweg-Pflicht verstoßen und Mitnahme-Speisen und -Getränke weiter in Einwegplastik ausgeben. Dafür gibt es ein eigenes Portal, auf dem "Meldehelden" ihre Entdeckungen eintragen können. Anlass, über den Begriff "Held" nachzudenken.
Der Heldenbegriff: Ausgedient oder inflationär gebraucht?
Es ist schon ein wenig her, da rockröhrte Tina Turner uns entgegen: "We don’t need another hero." Mit diesem Song wurde 1985 gleichsam das sogenannte postheroische Zeitalter eingeläutet, in dem wir uns der Sage nach immer noch befinden. Jedwedes öffentliches Heldengedenken wie vordem gilt heute als unvorstellbar – der militärische Held hat abgedankt. Die Ironie der Geschichte will es, dass ausgerechnet in dem Zeitalter, das den Abgesang auf den Helden anstimmt, derselbe allerorten anzutreffen ist. Allerdings in gänzlich neuer Form: Dass die Umweltschutzorganisation Greenpeace in ihrer umstrittenen Aktion "Jetzt Meldeheld:in werden" offen zur Denunziation von Umweltsündern aufruft, fügt der ohnehin wandlungsreichen Geschichte des Heldenbegriffs eine weitere Facette hinzu.
"Heldenwerkstatt" und "Lieferhelden"
In der schönen neuen Start-Up-Welt wimmelt es bekanntlich nur so von Helden: Hier nennt sich eine Karriere-Beratung großspurig "Heldenmanufaktur", dort eine Münchner Team-Trainerin "Heldenwerkstatt". Wer je in einem solchen Workshop gesessen hat, weiß, dass erwachsene Menschen am Ende desselben auf ein Blatt Papier wie im Kindergarten ihre "Heldenreise" malen dürfen. Die Autorin Jagoda Marinić veröffentlichte 2019 ein Buch des Titels "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land". Online bestelltes Essen auf Fahrrädern kommt u.a. von der Firma "Delivery Hero" (Deutsch "Lieferheld"). Ein Unternehmen, das Kindern einen sicheren und souveränen Umgang mit dem Internet ermöglichen will, nennt sich "Digitale Helden", und ein Münchner Kindergarten im Stadtteil Lehel nennt sich wortspielverliebt "Lehelden". Ein Restaurant im Münchner Westend firmiert unter dem Namen "Heldenspeisen", das Grazer Geschäft "Trittbretthelden" wiederum verkauft elektrische Tretroller und lässt den bisher schlecht beleumundeten Trittbrettfahrer plötzlich im Heldenglanz erstrahlen. Der Held ist so allgegenwärtig wie nie. Es soll Menschen geben, die angesichts dessen etwas Heldenplatzangst bekommen.
Philosophisches Plädoyer für Helden
Der Philosoph Dieter Thomä hielt in seinem 2019 erschienenen Buch "Warum Demokratien Helden brauchen" ein "Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus". Er setzte sich darin für die Tugend der Zivilcourage ein – also für Menschen, die man mit einem seinerzeit geäußerten Wort Angela Merkels als "Mutbolzen" bezeichnen könnte. Thomä wollte dafür – durchaus mit Gespür für die Konjunktur des Helden-Begriffs – den Heroismus reaktivieren und aus der Mottenkiste holen. Er machte einen ganzen Heldenkatalog auf und unterschied einzelne Helden-Kategorien. Laut Thomä gibt es u.a. den "Gelegenheitshelden", aber auch den "Scheinhelden" bzw. "Pseudohelden": zu Letzteren zählte ein Online-Portal wie "Sparheld.de". Auch die "Meldeheld:in" von Greenpeace darf sich zur Kategorie der Scheinhelden rechnen.
Von "Halbhelden" und "Trotzhelden"
Thomä schied den "Halbhelden" vom ganzheitlichen "holistischen Helden" und widmete sich auch den "Trotzhelden". Ein Trotzheld ist für Thomä einer, der die gemeinsamen demokratischen Werte relativiert und der vorgibt, im Namen des Volkes zu sprechen. Solche Trotzhelden heißen heute Alexander Gauland oder Björn Höcke. Kritiker wendeten ein: Wenn aber auch rechtspopulistische Politiker Unterarten von Helden bilden (Thomä zitierte in seinem Buch auch Benito Mussolinis Diktum "Das Credo des Faschisten ist der Heroismus, dasjenige des Bürgers der Egoismus"), dann erscheint das Bemühen, den Helden-Begriff für die Rettung der Demokratie zu reanimieren, zum Scheitern verurteilt. Das Wort "Held" hat einen historischen Hallraum, den es schwerlich loswerden kann. Wer mag sich heute noch ernsthaft am "Höhenmenschentum" (so der Dichter Georg Heym) ergötzen?
"Helden des Rückzugs"
1989 nannte Hans Magnus Enzensberger jene kommunistischen Kader, die im Zuge der mittel- und osteuropäischen Revolutionen von sich aus den Rückzug antraten, "Helden des Rückzugs". Heute ist der Held wieder auf dem Vormarsch – eine wundersame Heldenvermehrung folgt auf die ehedem praktizierte Heldenverehrung. Es wird semantisch wiederaufgerüstet: 2016 wurde auf einem Werbeplakat der Bundeswehr die Ausbildung zum Arzt bei der Bundeswehr angepriesen mit den Worten: "Wir suchen keine Götter in Weiß. Wir suchen Helden in Grün."
Michail Lermontows "Held" war keiner
Die Rückkehr des totgesagten Helden und der Heldin weckt die Erinnerung an einen Klassiker der Weltliteratur: Michail Lermontows Roman "Ein Held unserer Zeit" (1840) hat mit Grigorij Alexandrowitsch Petschorin eine Hauptfigur, die alles andere ist als ein Held. "Alles andere als ein Held", so heißt ein großartiger, etwas in Vergessenheit geratener Nachkriegs-Roman von Rudolf Lorenzen aus dem Jahr 1959, der die Nase voll hatte von all dem falschen und oft nur prätendiertem Heldentum. Lorenzen sah eher eine Kunst darin, sich durchzumogeln, – ohne hohltönende Heldengesten.
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