Gegen 23 Uhr drängt sich vor der Eingangstür zum renommierten Augsburger Musikclub "Kantine" eine etwa 70 Meter lange Menschenschlange. Mehrere hundert junge Leute warten auf Einlass. Die Freude, nach der Corona-Pandemie endlich wieder feiern gehen zu können, ist unter den Wartenden groß.
"Wir haben jetzt zwei Jahre drauf gewartet, aber jetzt sind wir jedes Wochenende da. Weil Corona hat uns echt viel genommen," sagt ein 19-Jähriger und eine 20-Jährige ergänzt: "Corona war Sch... Deswegen ist es cool, dass man jetzt wieder feiern gehen kann!“
Wegen Corona: Publikum über 25 bleibt weg
Es sind vor allem die 18- bis 25-Jährigen, die jetzt wieder in die Clubs strömen, sagt Betreiber Sebastian Karner. Vor allem wenn in der "Kantine" eine Studentenparty mit ermäßigten Preisen angesagt ist. Das Publikum ab 25 Jahren aufwärts dagegen bleibt eher zuhause.
Der Grund: Während der Corona-Pandemie haben viele die Angebote diverser Streamingdienste und den Komfort der heimischen Couch zu schätzen gelernt. Und laut Sebastian Karner fürchten viele auch noch die Ansteckungsgefahr: "Corona ist ja nicht weg und alle anderen Erkältungsviren und Grippe und was es grad noch alles gibt. Also sich mit irgendwas anzustecken, ist ja momentan derzeit durchaus real."
Halbvoll ist das neue Ausverkauft
Große Probleme haben die Betreiber vor allem bei kulturell ambitionierten Musikveranstaltungen. Zum Beispiel DJs mit künstlerischem Anspruch oder auch Newcomer-Bands, die in den kleinen Clubs ihre ersten Auftritte haben. "Nicht jede Band spielt gleich im Zenit oder in der Olympiahalle, sondern fängt klein an in kleinen Clubs", erklärt Sebastian Karner.
Aber kleine Clubs könnten das nur machen, wenn sie kostendeckend arbeiten und das sei derzeit nur schwer möglich: "Und da sagt man schon: Halbvoll, das ist das neue Ausverkauft. Weil es einfach ein Erfolg ist, wenn man 50 Prozent Füllung hat. Dennoch kann's so nicht weitergehen."
Alle Clubs im Freistaat haben zu kämpfen
Dieses Problem haben alle Clubs im Freistaat, sagt Bernd Schweinar vom Verband für Popkultur in Bayern: "Wenn ich nur die Hälfte der Leute habe, dann erreiche ich nie und nimmer eine schwarze Null, und damit geht vieles den Bach runter." Insbesondere der Nachwuchsaufbau habe die letzten Jahrzehnte ohne staatliche Hilfen stattgefunden.
Politik soll Clubs helfen - so wie Kino und Film
Deshalb fordert Schweinar von der Politik nach dem Auslaufen der Corona-Hilfsprogramme weitere Unterstützung für die Clubszene. In einer Umfrage rechneten viele Betreiber vor, dass sie mindestens noch ein bis zwei Jahre brauchen, um beim Umsatz wieder das Level von vor Corona zu erreichen. "Warum gibt’s Hilfen für Programmkinos?", fragt Schweinar. "Warum gibt es Möglichkeiten, um auch zum Beispiel Filmförderung zu machen? All das ist ja in irgendeiner Form vergleichbar mit der Musikkultur."
Fachkräftemangel auch in der Clubbranche
Wie in allen Bereichen haben auch die Clubs mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Viele Ton- und Lichttechniker, Bühnenbauer oder Security-Leute haben während der Corona-Pandemie, als keine Veranstaltungen stattfinden konnten, die Branche gewechselt. Sie kommen wohl nicht mehr zurück, auch weil die geregelten Arbeitszeiten und das sichere monatliche Gehalt im neuen Job viele Vorteile im Vergleich zur Solo-Selbständigkeit bieten.
Verbesserung der Sozialversicherungsmodelle gefordert
Bernd Schweinar mahnt für die Fachkräfte, oft sogenannte Solo-Selbständige, auch bessere Rahmenbedingungen bei der sozialen Absicherung an. Schweinar verweist dabei auf Österreich, wo es eine Arbeitslosenversicherung gibt, in die man freiwillig einzahlen kann. Laut Schweinar würden viele sofort in die Arbeitslosenversicherung einbezahlen, wenn es das in Deutschland gäbe. Doch die deutsche Politik habe die Idee leider nicht aufgegriffen.
Inflation zwingt Clubs zu Preiserhöhungen
Und dann ist da noch die allgemeine Inflation. In Münchner Clubs haben sich die Eintritts- und Getränkepreise zum Teil verdoppelt. In der Augsburger "Kantine" gibt es die Halbe noch für unter fünf Euro. Betreiber Sebastian Karner begründet es so: "Der Augsburger ist sehr preissensibel. Deswegen haben wir sehr moderat erhöht. Wir werden aber noch erhöhen müssen, weil es einfach auch nicht reicht." Schließlich seien auch die Preise für Energie, Personal und Getränke teurer geworden. Früher oder später wird sich das wohl auch auf die Preise in der Augsburger "Kantine" durchschlagen.
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