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Herkules-Saal in München: Helmut Lachenmann Uraufführung

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"My Melodies": Helmut Lachenmann in München gefeiert

"My Melodies": Helmut Lachenmann in München gefeiert

Avantgarde-Altmeister Helmut Lachenmann (82) hat noch einmal gründlich nachgedacht und ein großes Werk komponiert: Für acht Hörner, weil er bei einer Probe von dieser Besetzung begeistert war. Eine heitere Gedanken-Melodie. Von Peter Jungblut

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Ich habe irgendwie einen kleinen, masochistischen Zug. Ich muss das machen, was ich nicht kann. – Helmut Lachenmann
Man muss Entdeckerfreude haben, aber es nicht so, dass es wie Vollkornbrot oder Knäckebrot essen wäre. Es hat schon was mit sinnlichem Genuss zu tun, aber auch damit, dass man für Genüsse offen sein sollte, die man noch nicht kennt. – Winrich Hopp

Und genau das ist das große Problem an der Neuen Musik: Sie erwartet Aufgeschlossenheit, Neugierde, aber das Publikum, das hängt nun mal an seinen Hörgewohnheiten, wie übrigens auch die Musiker. Deshalb hat Helmut Lachenmann, inzwischen 82, der Meister der unbequemen, unerhörten, unfertigen Musik, frustrierende Erlebnisse hinter sich. Es gab Musiker, die legten aus Protest Zeitschriften über seine Partituren, und auch gestern, bei der Uraufführung von Lachenmanns vermutlich letztem großen Werk fragten verunsicherte Zuhörer in der Pause: Gefällt ihnen das etwa?

Es schnauft, pustet und rasselt

Rund vierzig Minuten dauert "My Melodies" für acht Hörner und Orchester und natürlich ist keine Melodie erkennbar, denn Lachenmann will sein Publikum nicht hörig, sondern hellhörig machen. Deshalb lässt er die Hornisten ihr Instrument völlig neu entdecken: Da werden Ventile und Mundstücke abgeschraubt, da wird gepustet und geklopft, da atmet das ganze Orchester laut und leise mit, da schnauft es wie bei einer Dampfeisenbahn, da rasselt, klappert und bimmelt es, da blitzen düstere Akkorde wie aus einem Hollywood-Film auf, da kracht es mal ohrenbetäubend, da fiept es an der Hörgrenze.

Wir singen doch auch manchmal „ohne Ton“. Alles die gleiche Klangquelle, und trotzdem können Sie sofort erkennen, was ich meine. Für mich geht´s nicht um Melodie, für mich geht´s immer wieder darum, andere Formen von Antennen für das Hören zu schaffen. Das heißt, die Ausgangsidee, die man hat, kann niemals das Stück sein. Sie kann nur ein Motor sein, um etwas zu machen, was man selber nicht weiß. Ein Komponist der nur weiß, was er will, der will doch nur, was er weiß, und wir müssen über diesen Horizont raus finden. – Helmut Lachenmann

Freund von Ennio Morricone

Winrich Hopp, der Lachenmanns "My Melodies" vor zwanzig Jahren (!) in Auftrag gegeben hat und die Musica Viva-Reihe des Bayerischen Rundfunks leitet, hat natürlich einige verborgene Melodische Bögen und Zitate entdeckt in der spektakulären, groß angelegten Partitur.

Helmut Lachenmann ist ein eminenter Kenner der Musikgeschichte, er kennt sich im französischen Chanson perfekt aus, er ist ein guter Freund von Ennio Morricone, die beiden kennen sich gut und schätzen sich einander. Ich glaube, da ist manches Geheimnis drin, vielleicht manches auch nur zum Lesen zu entdecken. Ich glaube, das ist ein Abenteuer. Da stehen uns Überraschungen bevor. – Winrich Hopp

"Ich hasse Humor"

Immer wieder fragen sich unerfahrene Zuhörer, ob Lachenmanns Musik vielleicht satirisch gemeint ist, aber es gibt kaum einen ernsthafteren Komponisten als ihn. Geboren im strengen Stuttgart, wo die Leute selten Verständnis für Firlefanz und Oberflächlichkeiten haben, ringt Lachenmann immer mit seinem zutiefst seriösen Anliegen: Die Musik neu zu definieren, das Hören zum Abenteuer zu machen. Winrich Hopp.

Naja, der Witz und der Humor in der Musik ist tatsächlich ein Problem. Witze altern sehr schnell. Helmut Lachenmann zielt nicht so sehr auf den Witz, den Humor in der Musik, sondern ihm ist die Heiterkeit wichtig. Die gelassene Aufmerksamkeit, die sinnliche Gestimmtheit, aber auch die Einschaltung des Verstandes. – Winrich Hopp
Ich hasse Humor, Humor ist einfach lachhaft. Meine Stücke sind heiter. Ich mache einen scharfen Unterschied zwischen Humor und Heiterkeit. – Helmut Lachenmann

Purer Optimsmus, Lust am Denken

Heiter im Sinne von aufmerksam, gelassen, zugewandt, gründlich durchdacht, so ist auch "My Melodies". Eine anregende Meditation über die Luft, die mit ihren Schwingungen Musik, aber auch Leben erst möglich macht. Ein so gescheites wie berührendes Alterswerk über das Orchester als solches, diesen atmenden, behutsam voran schreitenden Organismus, der mit festem Tritt neue Wege beschreitet, weit jenseits von Gefühligkeit, Pathos, Kitsch und Trivalität, hin zur Klarheit, zu Mut und Entschlossenheit. Lachenmanns Musik ist purer Optimismus, der aus der wilden Lust am Denken entspringt. Es gibt noch Karten für "My Melodies" heute Abend im Münchener Herkulessaal.