Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

München würdigt den Dichter Stefan George zum 150. Geburtstag

In München war er ein ständiger "Logiergast" und bildete um sich herum jenen "George-Kreis", der in die Literaturgeschichte eingegangen ist. An seinem heutigen 150. Geburtstag würdigt ihn die Bayerische Akademie der Schönen Künste. Von Knut Cordsen

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Viel gelesen wird der heute vor 150 Jahren geborene Stefan George (1868-1933) nicht mehr. Das ist aus Sicht der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ein Versäumnis. Und so wird am Geburtstag Georges in München der 1948 geborene Schriftsteller und Übersetzer Joachim Kalka über George und sein Werk reden.

Joachim Kalka (Lesung Stefan George): "Horch, was die dumpfe Erde spricht / Du frei wie vogel oder fisch - / Worin du hängst das weisst du nicht. / Vielleicht entdeckt ein spätrer mund: / Du sassest mit an unsrem tisch. / Du zehrtest mit von unsrem pfund. / Dir kam ein schön und neu gesicht / Doch zeit ward alt · heut lebt kein mann / Ob er je kommt das weisst du nicht / Der dies gesicht noch sehen kann."

Rätselworte sind es, die Joachim Kalka hier rezitiert. Hoch tönen sie, wie stets bei Stefan George, den man seines hohepriesterartigen Auftritts wegen seinerzeit als „Weihestefan“ verspottete in München, diesem kunstsinnigen „isarathen“, in der von ihm gepriesenen „stadt von volk und jugend“, „wo geister noch zu wandern wagen“.

Joachim Kalka: "George war ja ein Nomade, ein Mann ohne festen Wohnsitz, aber unter den Städten, die er zumindest eine Zeit lang besonders geschätzt hat, hat München sicher einen besonderen Rang."


Dichterseher in München-Schwabing


„In Berlin wäre man eingesteckt worden“, hat George selbst bekannt. Lieber als der Moloch Berlin war ihm das dörfliche „Wahnmoching“, Schwabing, wo er sich im Fasching als Dante verkleidete und ansonsten als Dichterseher inszenierte. Dämonisch blickend, mit dieser an Rudolf Moshammer gemahnenden Wallemähne. Bei aller Distanz dem sektenhaften Männerbund gegenüber: Komisch ist manche Fehllektüre seiner Dichtung, die Joachim Kalka am Jubiläumstag in Erinnerung ruft.

Joachim Kalka: "Das sollte man vielleicht vermerken, weil ja dieses Bild vom Magier des Willens, auch sehr negativ konnotiert, immer noch sehr stark vorhanden ist. Man muss auf das Dandyhafte und auch leis Ironische gewisser Züge von George hinweisen. Es gibt ein häufig zitiertes Wort aus dem George-Kreis: ‚wenige nur, doch die vom besten‘. Das wird gerne auf den Kreis und seine Jünger zitiert, bezog sich aber auf Stefan Georges Zigaretten."

Seine Poesie steht freilich aufgrund der Päderastie Georges bis heute im Zwielicht. Ja, der George-Kreis sei ein „Homosexuellen-Zirkel“ gewesen, sagt Kalka. Und der habe mit seiner Geheimniskrämerei die Gerüchteküche immer befeuert.

Joachim Kalka: „Der Kreis hat einerseits den Ausschluss aller unberufenen Neugier ermöglicht, andererseits die Verfolgung jener jungen Männer, die z.T. in Korrespondenzen des Kreises als ‚ss‘ – „sehr Süße“ – erscheinen. Es ist charakteristisch, dass ein durchaus eingeweihter und zum inneren Kreis gehörender, aber von der homosexuellen Dimension ausgeschlossener ahnungsloser Korrespondent dieses ‚ss‘ einmal – die Georgianer sprachen ja vom Kreis immer als ‚Staat‘ - einmal als „Staatsstütze‘ ahnungsloserweise dechiffriert hat.“


Nymphenburger Park besungen


„Komm in den totgesagten Park und schau ...“ - für Joachim Kalka sind solche Zeilen weitaus mehr als „wildes Harfengetön“, wie Georges Zeitgenosse Max Weber das despektierlich nannte. Nicht nur die Stauffenberg-Brüder Berthold und Claus bewunderten diesen George, auch Rosa Luxemburg las ihn im Gefängnis. Walter Benjamin verglich seine Zeilen „im Massiv des Deutschtums [mit] jenen Spalten, die nach der Sage nur alle tausend Jahre sich auftun und einen Blick ins innere Gold des Berges gewähren“. Zuviel Pathos? Vielleicht. Doch auch der Lyriker Thomas Kling nahm 2001 in seine Anthologie „Sprachspeicher“ mehrere George-Gedichte auf und lobte, so Joachim Kalka, dessen „unerbittliche, unnachgiebige Arbeit an der Form.“

Joachim Kalka: „Wenn ich jetzt sage, Stefan George war unbezweifelbar ein großer Dichter, dann muss natürlich jeder, dem das etwas dubios in den Ohren klingt, die Probe aufs Exempel machen. Aber es gibt eine große Zahl von äußerst zauberschönen Gedichten, die, glaube ich, auch dem, der mit äußerster Distanz dem Wesen des Kreises gegenüber steht, unmittelbar einleuchten müssten. Ich werde versuchen, das heute Abend mit einigen anderen Mitgliedern der Bayerischen Akademie der Schönen Künste durch eine kleine Lesung auch zu demonstrieren.“

Am 12. Juli um 19 Uhr spricht Joachim Kalka in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Neben ihm lesen Albert Ostermaier, Hans Pleschinski und Albert von Schirnding.