Sebastian Hotz sollte man besser keine Zeit geben, sein Smartphone zu zücken. Kurz vor halb zehn. Bahnhof Forchheim in Oberfranken. Ein eisiger Wind bläst über die leeren Gleise und Bahnsteige. Sebastian Hotz – blonde Haare, schwarze Jacke, wie fast immer das Smartphone in der Hand – wartet auf seinen Regionalzug Ebermannstadt. Er tippt: "Ich will in dem Meer aus Spucke am Bahngleis 1 des Ebermannstadter Bahnhofs ertrinken." Ab damit auf Twitter, wo knapp 600.000 gierige Followerinnen und Follower warten.
Eine Endstation in Oberfranken: die Heimatstadt von El Hotzo
Der 27-jährige Sebastian Hotz ist Deutschlands scharfzüngigster Twitter- und Instagram-Poet; und wurde dafür kürzlich zum Träger des Bayerischen Kabarettpreises gekürt. Er ist Podcaster und seit neuestem Schriftsteller. Sein Debütroman heißt "Mindset". Und um das Mindset des Herrn Hotz ein bisschen besser zu verstehen, lädt er dorthin, wo alles begann: Eine Endstation in Oberfranken. Ebermannstadt.
In einem kurzen Zug bummeln wir durch die Fränkische Schweiz. Vor den noch kaum belaubten Wäldern der malerischen Hügelketten mischen sich hübsche kleine Fachwerkhäuser und geschmacklose Neubauten. Selbst die Heimat scheint nicht mehr das zu sein, was sie einmal war: "Das fühlt sich meinen Erinnerungen gegenüber ein bisschen gemein an, dass dieser Ort nicht für immer eingefroren ist", sagt Hotz aus dem Zugfenster blickend. "Es wäre schön, wenn sich irgendwas nicht verändert. Elon Musk hat Twitter umgebaut. Jede App schaut heute aus wie TikTok. Alles fühlt sich anders an. Ich möchte, dass Dinge so bleiben, wie sie sind. Manchmal ist das ganz schön." Dann lacht er. Ist ja auch komisch: Ein Internetphänomen, das an die Wirklichkeit Beständigkeitsansprüche formuliert.
- Auch als Video: Hausbesuch bei El Hotzo in seiner Heimatstadt
Ankunft Ebermannstadt. Der alte Bahnhof ist leer. Eine uralte Lok steht gegenüber dem Bahnsteig, ein leicht rostiger Waggon, der einst Kohle transportierte. Hier in Ebermannstadt hat man Bewusstsein für die eigene Geschichte, ein museales Eigeninteresse. Anders als im Internet, wo man heute Hype ist und morgen vergessen. "In Ebermannstadt würde es schon jemanden interessieren, wenn ich hier von einem Bus überfahren werden würde", antwortet Hotz auf die Frage, ob er zur Lokalprominenz gehöre. Vielleicht, sagt er, gäbe es sogar ein kleines Volksbegehren gegen Busse in Ebermannstadt oder ein kleines Denkmal. Die präferierte Gedenkstätte? "Eine Kirche. Die Sebastian Hotz-Kirche. Sankt Hotz vielleicht, Sankt Sebastian. Oder ein Sportplatz. Sebastian Hotz Kampfbahn."
Der größte oberfränkische Export seit Thomas Gottschalk
Das Kokettieren mit Ebermannstädtischer Großmannssucht hat natürlich eine Berechtigung: Schließlich erreicht Hotz unter seinem Internet-Pseudonym "El Hotzo" auf sozialen Plattformen Millionen von Menschen. Er ist damit vielleicht der größte oberfränkische Entertainer-Export seit Thomas Gottschalk. Ein Talent, das auch die alten Medien erkannt haben. Jan Böhmermann, der Late Night-König, rekrutierte Hotz als Gagschreiber für seine ZDF-Sendung "Neo Magazin Royal", wo er inzwischen als Gelegenheitssidekick auch immer wieder vor der Kamera zu sehen ist. Eine Karriere, die sich so nicht abgezeichnet hat.
Skateplatz Ebermannstadt. Hotz schlendert zwischen der Halfpipe, inspiziert die Filzmarker-Tags und Graffitis. Kaum noch Zigaretten hier auf dem Skateplatz, bemerkt er, schüttelt den Kopf und lacht. "Das Rauchverbot ist ganz offensichtlich verheerend für den Rauchstandort Oberfranken."
Dieser Skateplatz war in Hotz Teenagerjahren zu gleichen Teilen Sehnsuchtsort und Albtraum: "Das war immer so ein Ort, an dem die Leute abhingen, mit denen ich gerne abgehangen hätte. Aber es war immer so: Bist du heute am Skateplatz in Ebermannstadt. Ich: Nein, natürlich nicht. Aber ich wäre es gerne." Zu unsportlich sei er gewesen, selbst die Kunst des coolen Rauchens war ihm nicht vergönnt. "Asthmalunge. Und feinmotorisch kriege ich das leider nicht mit dem Drehen hin. Ansonsten wäre das ein Ort gewesen, an dem ich gern so coole Emotionen hätte. Aber ich war zu uncool für den Skateplatz Ebermannstadt. Was sich immer wahnsinnig deprimierend anhört und auch deprimierend ist."
Im Internet konnte ich sein, wer ich wollte – also ich
Wer die Demütigungen eines Provinzskateplatzes übersteht, lernt vielleicht nichts fürs echte Leben. Dafür aber viel für das in der digitalen Parallelwelt. "Internet war halt dann so etwas, wo ich meine Eltern nicht fragen muss, ob sie mich irgendwo 20 Kilometer hinfahren, sondern ich bin direkt sofort da. Und im Internet konnte ich auch die Person sein, die ich sein wollte", sagt Hotz. "Nicht, dass ich dann irgendwer anderes war, sondern ich war dann halt Sebastian Hotz. Aber so, wie ich das wollte: Nicht schüchtern, sondern selbstbewusst und sendungsbewusst."
Hotz Tweets bestehen zu gleichen Teilen aus Rotzigkeit, Fatalismus und einem einmaligen Gespür für Gegenwart. Nicht selten mischt sich eine politische, manche sagen moralisierende Note mit in seine Jokes. Dabei, so Hotz, findet er den erzieherischen Aspekt in Comedy gerade ziemlich überbewertet: "Lustig ist, wenn jemand lacht." Dass er sich dennoch oft zu recht politischen Posts hinreißen lasse, liege vor allem daran, dass er darauf die meisten positiven Reaktionen bekomme. Und schließlich möchte er wie alle Entertainer einfach geliebt werden.
"Mobbing hat ja auch eine regelnde Kraft"
Vom Gymnasium Fränkische Schweiz hat man einen schönen Blick über Ebermannstadt. Hier ging Sebastian Hotz zur Schule. Hier machte er sein Abitur. Hier meldete er sich bei Twitter an. War er ein beliebter Schüler? "Nein", lacht Hotz. "Ich war unglaublich unbeliebt und zu Recht auch. Mobbing hat ja auch manchmal so eine regelnde Kraft." Ein kleiner Streber sei er gewesen. Das Hauptinteresse des heutigen Internetkommunisten: Wirtschaft. Klassenclown sei er nur im Netz gewesen. Allerdings habe sein Erfolg auf Twitter erst im Studium richtig Fahrt aufgenommen. Hotz studiert in Erlangen Betriebswirtschaftslehre und macht parallel eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei Siemens. Weil er im Job viel Leerlauf hat, beginnt er zu twittern.
"Mindset": Buch über Hochstapler und Selbstoptimierer
Hotz betritt eines seiner alten Klassenzimmer. Er sei immer ganz vorne gesessen, lacht er. Also auch da ziemlich uncool. Dass er einmal einen Roman schreiben würde, hätte er sich damals nicht vorstellen können. Aber viel von diesen Erfahrungen eines jungen Manns, der zwischen Computer-Job und der Isolation einer Kleinstadt auf der Suche ist, spielen hinein in Hotz Debütroman "Mindset". Das Buch erzählt von einem Hochstapler, der als Life-Consultant und Selbstoptimierer Kurse für verunsicherte junge Männer gibt. Alpha-Männer-Kult, der Traum vom Lamborghini, Misogynie. Ein Buch über das Schneeballsystem falsch verstandener Männlichkeit. Und warum das Internet, wo Hotz einst selbst vom Außenseiter zum Peerleader avancierte, ein Ort für gefährliche Taschenspieler ist.
"Es wurde jetzt im Vorlauf zu diesem Buch oft gefragt, was so Männer in der modernen Gesellschaft machen sollen. Aber es ist ja eigentlich total einfach", sagt Hotz. "Wir sollen niemanden umbringen und im besten Fall uns auch nicht selbst. Das ist alles. Das ist wirklich nicht so schwer." Mindset spielt in Westdeutschland, Gütersloh. Und dennoch, die leeren Provinzbahnhöfe, die Sportheime, Schützenfeste. Der Roman könnte genauso gut zwischen Erlangen und Ebermannstadt spielen. Das Buch ist dabei auch eine kleine Versöhnung mit der Provinz. Landleben mag mitunter die Hölle sein. Im Vergleich zu Social-Media ist es ein Paradies. "Es geht vor allem darum, dass man sich ein bisschen entspannen kann manchmal. Es braucht nicht immer Besonderheit. In Mittelmäßigkeit kann eine unglaubliche Superkraft stecken."
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"Mindset" von Sebastian Hotz ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen.
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