Junge Männer in Kampfuniform
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Wagner-Söldner an der Front: Schwungrad des Krieges

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"Minimale Fortschritte": Geht Russlands Söldnern die Luft aus?

Er warb auf einem Porno-Portal um Rekruten, heuerte Afghanen an und nennt seine Söldner "höflich, respektvoll und gut gebaut". Als Kriegs-Unternehmer ist Jewgeni Prigoschin ebenso präsent wie als medienwirksamer "Entertainer" des Grauens.

Kürzlich warb der russische Privatarmee-Betreiber Jewgeni Prigoschin mit einem Video auf "Pornhub" um Söldner. Zu sehen war in Großaufnahme ein weiblicher Mund, der an einer Süßigkeit lutschte. Darüber wurde die Telefonnummer der Personalabteilung eingeblendet. Das sei doch eine "gute Idee", lobte der zwielichtige Putin-Vertraute seine eigene Werbe-Abteilung und fasste die Argumentation in dem Satz zusammen: "Hört auf zu wichsen, geht lieber kämpfen."

Mit solch vulgären Botschaften schafft es Prigoschin täglich mehrmals, im Gespräch zu bleiben. Pornhub löschte den "politischen Inhalt" allerdings recht schnell, womöglich als "unzüchtig", was satirische Qualitäten hätte. Prigoschin kommentierte grimmig, vermutlich seien inzwischen alle Männer auf dem Weg an die Front, was das Geschäftsmodell der Erotikbranche gefährde. Außerdem appellierte er an russische Pornoseiten, dort seine Stellenanzeigen schalten zu dürfen.

Er bezeichnet seine Truppe mal als "höflich, respektvoll und gut gebaut", mal sagt er über den angeblich typischen Mitarbeiter: "Er wird von den Menschen bewundert, von Mädchen geliebt, ist vorzugsweise jung und hübsch und wird von Vertretern der NATO gehasst." Zuletzt kündigte Prigoschin scherzhaft an, er wolle nach dem Krieg für das ukrainische Präsidentenamt kandidieren und räumte ein, dass er in seiner Firma auch afghanische Söldner beschäftigt, weil die sich mit erbeuteten US-Waffen besonders gut auskennen.

Archaische Rituale mit Erkennungsmarken

Jede groteske Fake-Meldung ist dem milliardenschweren Unternehmer gerade recht zur Eigenwerbung. So verbreitete das italienische Blatt "Il Foglio" die völlig aus der Luft gegriffene Mär, der Kreml habe Prigoschin damit beauftragt, gegen ein "Kopfgeld" von 15 Millionen US-Dollar den italienischen Verteidigungsminister Guido Crosetto zu ermorden. Umgehend hieß es vom kremlnahen russischen Politologen Sergej Markow, Prigoschin habe den Politiker zwar mal "Arschloch" genannt, das sei aber noch lange nicht so schlimm wie das "schwarze Todeszeichen" der Mafia. Crosetto hatte die Söldnertruppe Wagner für einen Anstieg des Flüchtlingsstroms übers Mittelmeer mitverantwortlich gemacht, was PR-Profi Prigoschin weit von sich wies: "Wir haben keine Ahnung, was passiert."

Archaische Rituale runden das Marketing ab: Wagner-Söldner schmücken sich öffentlich mit den Abzeichen und Erkennungsmarken der von ihnen getöteten gegnerischen Soldaten, manche tragen ganze Bündel von Metallplättchen und von den Uniformen der Gefallenen abgerissene Aufnäher mit sich herum. Dabei ist nicht immer klar, ob die Gegenstände wirklich den Toten auf dem Schlachtfeld geraubt oder aus Angeberei gekauft wurden.

ISW-Experten: Offensive erlahmte

Prigoschin selbst erläuterte die "tiefere" Bedeutung des eigenen Abzeichens mit der merkwürdigen Aufschrift "Ladung 200 - Wir gehören zusammen". In der Militärsprache der russischen Armee sind "200er" Transporte von Gefallenen. Verwundete werden als "300er" bezeichnet. Sein Wappenspruch beziehe sich darauf, dass jeder seiner Mitarbeiter Respekt vor dem Tod haben sollte, so Prigoschin, und zwar vor seinem eigenen Tod, dem des Kameraden und dem des Feindes.

Als mal sarkastischer, mal zynischer Entertainer des Kriegshandwerks und Medien-Liebling scheint Prigoschin jedoch deutlich erfolgreicher denn als Feldherr. Von der Front kommen vergleichsweise düstere Meldungen. Das amerikanische "Institute for the Study of War" stellte in seinem neuesten Tagesbericht vom 15. März fest, dass die russische Offensive weitgehend erlahmt sei. Statt wie zuvor täglich bis zu 100 Angriffe gebe es nur noch zwanzig bis dreißig, was wohl an den "erheblichen Verlusten an Arbeitskräften und Ausrüstung" liege. In der vergangenen Woche habe es nur "minimale Fortschritte" entlang der gesamten Frontlinie im Bereich Luhansk gegeben, wo die meisten Truppen konzentriert seien und wo erbittert um die Stadt Bachmut gekämpft wird.

Dreißig Kilometer in neun Monaten

Prigoschin brüstet sich damit, dass seine Truppe deutlich erfolgreicher sei als die Einheiten des russischen Verteidigungsministeriums. Tatsächlich seien die "Wagner"-Leute höchst effektiv, heißt es in einer neuen Analyse des russischen Emigrations-Portals "Meduza", doch seit Prigoschin keine Häftlinge mehr anwerben dürfe, gingen ihm angesichts schwerer Verluste allmählich die Rekruten aus. Trotz ungewöhnlicher Werbemethoden gebe es auf dem freien Markt kaum noch willige Söldner. Die Erfolgstaktik von Prigoschin komme an ihre Grenzen, weil sie enorme Mengen Personal und Munition verschlinge. Es fehle an gepanzerten Mannschafts-Fahrzeugen, die hoch gefährdeten Infanteristen griffen überwiegend zu Fuß an, weshalb der Vormarsch "sehr langsam" erfolge.

Letztlich verfolgten Prigoschins Kommandeure Angriffstechniken aus dem Ersten Weltkrieg - und seien dabei ebenso erfolglos. In neun Monaten hätten sie trotz maximalem Aufwands - es war von monatlich 10.000 Tonnen Munition die Rede - an einem der Frontabschnitte nur dreißig Kilometer Geländegewinne erzielt. Die Stärke von Prigoschin liege bei der topmodernen Aufklärung mit Hilfe von Drohnen und kurzen, schnellen Kommunikationswegen.

"Ich sage nur die Wahrheit"

Populär wurde der "Wagner"-Chef nicht nur mit fragwürdigen "Erfolgen" an der Front, sondern auch mit seiner öffentlich vorgetragenen Kritik am Kreml und der Armee. Daneben leistet er sich eine Fehde mit dem Gouverneur von St. Petersburg, den er bei jeder Gelegenheit für dessen angebliche Unfähigkeit beschimpft. Auf die Anfrage eines Journalisten, ob er keine Angst habe, wie viele andere wegen "Verunglimpfung" der Behörden eingesperrt zu werden, antwortete Prigoschin: "Ich sage nur die Wahrheit und kann alles beweisen, auch schriftlich, das ist das eine. Zweitens werden alle meine Aussagen von Anwälten geprüft, und deshalb wähle ich meine Ausdrucksweise sorgfältig. Natürlich kann jeder eingesperrt werden, auch ich, aber in dieser Situation sollte man nicht vergessen, dass 146 Millionen Russen eingesperrt werden könnten, und dieser Weg führt ins Nirgendwo."

"Nur der Soldat ist heilig"

Die Methode, den Kreml anzugreifen und sich dabei selbst nicht übermäßig in Gefahr zu bringen, hat Prigoschin perfektioniert. So zitierte er kürzlich das Sprichwort "Wie der Herr, so's Gescherr" und ergänzte: "Natürlich rede ich von mir selbst und nicht vom Verteidigungsminister [Sergej Schoigu]." Er sei überhaupt der Meinung, dass nur einfache Soldaten gesetzlich vor "Verleumdungen" geschützt werden müssten, "nicht das Führungspersonal", wozu er sich selbst auch rechne: "Über diese Personen muss gesagt werden können, was die Gesellschaft für notwendig erachtet. Nur der Soldat ist heilig."

Prigoschin und seine Leute mühen sich höchst erfolgreich, den Krieg als großes Abenteuer zu verkaufen, dabei machen sie sich nicht die Mühe, die hohe Zahl der Gefallenen zu verheimlichen, protzen aber damit, dass die Söldner vermeintlich "gentlemanlike" vorgingen. So wurde ein Video verbreitet, wo ein vermummter "Wagner"-Kämpfer an der Front Klavier spielte. Auch bei der Evakuierung von Zivilisten filmen sich die Söldner gern. Die Kriegswirklichkeit wird ausgeblendet.

"Krieg und Heroismus geht nicht zusammen"

Der bekannte russische Blogger Alexander Chodakowski (630.000 Follower" brachte das aktuell in einem Post auf den Punkt: "Nur wenige Menschen gelüstet es im Krieg selbst nach Heldentaten. Sogar unverbesserliche Romantiker beginnen schnell zu erkennen, dass Krieg und Heroismus miteinander unvereinbare Dinge sind, wenn wir mit Heroismus all das meinen, das später, im zivilen Leben erfunden wird, um den Krieg attraktiv zu machen." Es gehe momentan nicht mehr um Offensiven, sondern nur noch darum, "die Stellung zu halten". Tags zuvor sei ein Fußballfan einem Granatensplitter zum Opfer gefallen: "Ein Stück Metall bahnt sich den Weg in einen Menschen, der keine Chance hatte."