Anfangs galt seine Straßenkunst eher als "Erregung öffentlichen Ärgernisses", erinnerte sich Peter Weibel neulich in einem Interview mit der "Badischen Zeitung". Anfang der siebziger Jahre habe er sich angesichts des regelmäßigen Aufruhrs sogar vor dem Gefängnis gefürchtet, angesichts der "ständigen Prozesse". Kein Wunder, enterte Weibel 1968 doch mit einem brennenden Handschuh die Wiener Universität, um eine "Schimpftirade" gegen die Regierung zu halten. Er stand damals den wild bewegten "Aktionisten" nahe, die Österreichs Kunstszene mit teils blutigen Performances und Ritualen aufmischten. Im Nachhinein weltbekannte Kollegen und Kolleginnen wie die Feministin Valie Export gehörten zu seinen Gefährten.
- Zum Nachhören in der ARD-Audiothek: Der Künstler als junger Hund - Peter Weibel Tribute Album
Papier-Stapel als "Weltkulturerbe"
Doch allmählich wurde der im ukrainischen Odessa geborene Künstler, der in Wien und Paris studierte hatte, anerkannt. Immerhin schaffte er es mit seiner Aktionskunst ins österreichische Fernsehen ("teleaktionen"). Klar, dass er frühzeitig die Möglichkeiten der Videokunst und der elektronischen Musik erkannte und für sich nutzte. Zahlreiche Hochschulen schmückten sich mit Weibels internationalem Ruf. Ein paar Jahre, von 1992 bis 1995, leitete er die Ars Electronica in Linz.
Seit Januar 1999 war er "künstlerisch-wissenschaftlicher Vorstand" an der Spitze des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), wo er nicht nur als intellektuelle Kapazität brillierte, sondern auch als legendärer "Dompteur" seines sagenhaft unaufgeräumten Büros, in dem sich die Unterlagen zu einem Dschungel des Wissens stapelten. Gegenüber der "Süddeutschen" bezeichnete Weibel das fotogene Durcheinander als "Weltkulturerbe".
"Bewohnbare Bibliothek"
Mit 78 Jahren sollte er, der sich als "radikaler Demokrat" bezeichnete, den Posten Ende März verlassen. Jetzt ist der Schock bei allen Mitarbeitern groß, hatte Weibel doch bereits einen Umzug ins heimatliche Wien in die Wege geleitet. Dort wollte der Künstler nach eigenen Worten in einer "bewohnbaren Bibliothek" hausen, wohl seine Umschreibung des Papier-Chaos, das er so liebte: 120.000 Bände soll er angehäuft haben. Die hätten in zwei "Türmen" Platz finden sollen, während Weibel selbst vorhatte, in einer Art Lastenaufzug dazwischen zu "arbeiten, schreiben und schlafen".
Zu den in Karlsruhe beliebtesten Aktionen von Weibel gehörten die 2015 zum 300. Stadtjubiläum gegründeten Schlosslichtspiele, die wegen des großen Erfolgs jährlich wiederholt wurden: "Die Schlosslichtspiele sind ein hochtechnisches Ereignis. Beim 'Projection Mapping' werden nicht einfach Bilder wie auf eine Kinoleinwand projiziert. Stattdessen bekommt jede Künstlergruppe ein computerbasiertes 3D-Modell des Schlosses und hat dann den Auftrag, die Architektur der Fassade mit in die Bilder einzubeziehen."
"Steht für Innovation und Mut"
Allen Zeitgenossen, die über "digitale Erschöpfung" klagten, gerade durch den Dauereinsatz vor Videokonferenzen, spendete Weibel fachmännischen Trost: "Wenn ich jemanden sprechen höre, lese ich gleichzeitig Gestik und Mimik der Person. Das sind Hilfsmittel, um das Gesagte besser zu verstehen. Bei Video-Konferenzen ist der Ton nicht der gleiche und ich sehe das Gesicht um winzige Sekunden zeitverzögert. Die Verarbeitung der Information ist dadurch anstrengender. Aber wir werden uns daran gewöhnen."
Die baden-württembergische Kunstministerin Petra Olschowski hatte Weibel anlässlich seines bevorstehenden Ruhestands mit den Worten gelobt: "Er steht für Innovation und Mut. Mit seinen Ausstellungen im ZKM hat er uns nahe gebracht, wie sich unsere Wahrnehmung der Welt durch die digitale und mediale Transformation wandelt."
Mitkämpfer von Alice Schwarzer
In den letzten Wochen hatte sich Peter Weibel als Mitkämpfer von Alice Schwarzer verstanden, was die Haltung zum Ukraine-Krieg betrifft: "Uns alle treibt die Sorge um, dass die Lieferung schwerer Waffen den Krieg verlängert – dadurch die Vernichtung menschlicher Existenzen und der Blutzoll steigen", sagte er dem österreichischen "Standard". "Deutschland hat auf vielen Gebieten seine Hegemonie verloren. Das Einzige, was Deutschland blieb, war eine Hegemonie der Moral. Deutschland hat versucht, durch eine moralische Überlegenheit seine Unterlegenheit in wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen, seine Versäumnisse in der Digitalisierung, im Gesundheitswesen usw. zu kompensieren."
Als Nachfolger Weibels am ZKM war bereits der britische Kurator Alistair Hudson ernannt worden. Peter Weibel starb am 1. März nach "kurzer, schwerer Krankheit", wie das Karlruher Zentrum mitteilte. Die Einrichtung erhielt große Teile des Archivs des verstorbenen Künstlers, darunter 300 Videoarbeiten. Stadt und Land kauften auch zehn bedeutende Werke an, die zwischen 1968 und 1994 geschaffen wurden. Weibel selbst hatte den Ankauf mit einer Schenkung von 275.000 Euro unterstützt.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!