Kopfschmuck und Colliers von Xinyi Chen aus Elektroschrott
Bildrechte: BR/Agnes Popp

Sieht nach königlichem Kopfschmuck aus, ist aber Elektroschrott: Xinyi Chen präsentiert "New Era of Crown - Chinese Phoenix Coronet"

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Meister der Zukunft: Der Designer-Nachwuchs geht eigene Wege

Aufwendige Colliers aus Elektroschrott, Keramikkunst vom Roboter: Junge Designerinnen und Designer aus der ganzen Welt zeigen auf der "Handwerk & Design", was sie können – und was sie bewegt. Vom Klimawandel bis zu textilen Rückzugsorten.

Sie überrascht ihr Publikum immer wieder, die Sonderschau für den Gestaltungs-Nachwuchs auf der "Handwerk & Design". So wie diesen Besucher aus Laufen an der Salzach. Er habe mit sowas auf der Handwerksmesse nicht gerechnet, sagt er und betrachtet gerade ein Objekt der Künstlerin Ju Young Kim aus Südkorea: Eine Flugzeug-Kabinenwand. Anstelle des Kabinenfensters hat die 32-jährige Bleiglasscheiben eingefügt, das, von hinten beleuchtet, vielmehr an ein historisches Fenster mit Glasmalerei erinnert – und den Blick freigibt auf eine Treppe zum Meer. "Es hat was Poetisches, ja", sagt der Rentner, der selbst Hobby-Maler ist.

Ju Young Kim ist eine von insgesamt knapp hundert internationalen Gestaltern und Gestalterinnen, allesamt jünger als 35, die für die Sonderschau mit dem Titel "TALENTE – Meister der Zukunft" ausgewählt wurden. Von Glas über Textil, Schmuck, Keramik, Holz bis zum Möbelbau sind hier die unterschiedlichsten Gestaltungsbereiche vereint. Michaela Braesel von der Handwerkskammer München und Oberbayern, die Trägerin der "Talente"-Schau ist. Bei "den Jungen" sei es oft so, dass ein großer Wille zum Experiment und eine enorme Neugierde da sei. "Das ist, denke ich, auch damit verbunden, dass einige eben noch auf der Suche vielleicht nach einem eigenen Weg sind."

Berühmte Designkünstler einst auf der "Talente", heute im MoMa

Tatsächlich gibt es die Sonderschau auf der Internationalen Handwerksmesse schon seit 1979 und Künstler, die in den 80er-Jahren hier präsentiert wurden, haben ihren Weg längst gefunden: Sie gehören heute etwa zum berühmten niederländischen Designkollektiv Droog Design, deren Objekte im MoMA in New York zu sehen sind. Was die jungen Künstlerinnen und Künstler dieses Mal verbindet, sind ihre Themen – etwa der Klimawandel. Michaela Braesel von der Handwerkskammer:

Und es gibt mehrere Themen, die die jungen Gestalterinnen und Gestalter heute bewegen - über Landesgrenzen hinweg: "Zum einen natürlich der Aspekt der Nachhaltigkeit, der, denke ich, die junge Generation sowieso stark beschäftigt", sagt Braesel, "dass man sich überlegt, welche Ersatz-Materialien kann man finden. Wir haben viele, die sich mit Alternativen für textile Materialien beschäftigen, aber auch Überlegungen für nachhaltige Baumaterialien und eben auch, wie man schon bestehende Dinge weiterverwenden kann."

Textile Materialien: das Bedürfnis nach Rückzug und Behaglichkeit

Das Konzept Upcycling ist nun wirklich nicht neu – und doch überraschen die Ergebnisse immer wieder. Xinyi Chen aus China arrangiert elektronische Bauteile wie kostbare Edelsteine. Für ihre Kollektion "Data Garden" verarbeitet sie Elektroschrott zu aufwändigen, farbenprächtigen Colliers und einem Kopfschmuck, der der sogenannten "Phoenix Coronet" nachempfunden ist. Eine traditionelle chinesische Kopfbedeckung, früher von adligen Frauen zu Zeremonien getragen, heute als traditionelle Kopfbedeckung für Bräute. Michaela Braesel, die mit einer Jury die Objekte ausgewählt hat, ist das starke Interesse an Textil in diesem Jahr aufgefallen. In der Zeit der Pandemie seien textile Materialien zum Sinnbild für Sicherheit und Geborgenheit geworden. Das zeigen zum Beispiel die Skulpturen von Adelaide Butler aus Australien.

Sie hat kleine Bücher aus weichem Stoff bestickt, die, wenn man sie "durchblättert", wie ein Daumenkino funktionieren. In diesen Büchern sind nur Frauen abgebildet beim Lesen. Beim Wenden der Seiten ergibt sich also nur eine minimale Bewegung, etwa durch die Veränderung der Körperhaltung: "Es ist eine sehr stille Arbeit. Da hat man eben diesen Rückzug ins Private und eben gleichzeitig dieses Behagliche des Textilen", erklärt Braesel von der Handwerkskammer.

Gefäße im Stil traditionellen Steinzeugs – erzeugt von Roboterhand

Auf der "Talente" zeigt sich die Breite des Handwerks im Bereich Gestaltung: zum einen Gegenstände, bei denen es um einen Nutzwert, eine Funktionalität geht, zum anderen Objekte, die den künstlerischen Ansatz betonen. Was junge Designer aus aller Welt in ihren Arbeiten beschäftigt, ist sehr oft auch die Suche nach der eigenen Identität zwischen verschiedenen Kulturen. Und nicht zuletzt das oft spannungsreiche Verhältnis von Handwerk und Technologie. Das erkundet insbesondere das Duo Konrad Jünger und Verena Kühn. Sie arbeiten mit einem Laserdrucker und haben für die Produktion ihrer Objekte sogar einen eigenen Roboterarm entwickeln lassen.

"Was eben auch besonders interessant ist ist diese Gruppe aus dem Krug und dem Becher, die so eine Maschine entwickelt hat. Sie hat Kunststoffreste, also das sind diese kleinen Knödel, zu Gegenständen zusammengesetzt. Dabei hat sich das Duo für die Farbigkeit und für die Form am traditionellen Westerwälder Steinzeug orientiert", erzählt Braesel. Dadurch entstehe nämlich etwas sehr Spannendes – diese Assoziation mit Westerwälder Steinzeug und zugleich diese körnige Oberfläche, die dann doch wieder ganz anders aussehe. "Das wäre so ein Beispiel für die Auseinandersetzung mit den Traditionen und die Idee, diese Auseinandersetzung dann durch die Verwendung neuer Technologie zu artikulieren."

Digital Craft: Schafft Hightech das Handwerk ab?

Digital Craft nennt sich die gezielte Kombination von Handwerkstechniken mit Hightech-Verfahren, die im Design zunehmend Aufmerksamkeit bekommt. Ob das nicht irgendwann die Arbeit mit den Händen, die das Handwerk ja traditionell definiert, überflüssig macht? Die Künstlerin Verena Kühn sieht hier keine Gefahr: "Zum Beispiel ist es so, dass wir im Prinzip die ganze Zeit, die wir produziert haben, neben dem Roboter saßen und sozusagen die Arbeit überwacht haben und da im Prinzip schon ständig die Finger drin hatten." Sie hätten geprüft, ob das Material wirklich so falle und sich so verbinde, wie sie es wollten. Und dabei mussten Kühn und ihr Partner Konrad Jünger bisweilen auch feststellen: "Die Maschine macht immer mal wieder Sachen, die man nicht kennt, die man so nicht will." Und die Nachbearbeitung der Gefäße erfolgte dann doch ganz analog: Mit einem Heißluft-Fön und einer Bürste.

Mit ganz ungewöhnlichen Materialien kann man Schmuck machen und völlig neue Formen schaffen.
Bildrechte: Bayerischer Rundfunk 2023

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