Die Extremismus-Forscherin Julia Ebner
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Die Extremismus-Forscherin Julia Ebner hat ein neues Buch geschrieben: "Massenradikalisierung"

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"Massenradikalisierung": Können wir die Demokratie bewahren?

Seit Corona, dem Sturm aufs Kapitol und dem Ukraine-Krieg haben Hass, extremistische Tendenzen und Verschwörungsmythen um sich gegriffen. Extremismusforscherin Julia Ebner analysiert in ihrem neuen Buch diese Radikalisierung und sinnt auf Abhilfe.

Spätestens seit der Pandemie ist vielen klargeworden, wie sehr inzwischen auch extreme Ansichten viral gehen, auf politischer Ebene genauso wie im Freundes- oder Familienkreis. Und dass auch Themen wie Feminismus, Klimawandel, Rentenreform oder der Ukraine-Krieg nicht nur polarisieren, sondern radikalisieren.

Das Bedrohliche daran ist, dass die Radikalisierung längst in der breiten Mitte angekommen ist. Dieses Phänomen der "Massenradikalisierung" hat sich die in London arbeitende Extremismusforscherin und Politikberaterin Julia Ebner – berühmt seit ihrem Vorgängerbuch: "Radikalisierungsmaschine" – in ihrem neuen, gleichnamigen Buch näher angesehen.

Gezielte Instrumentalisierung der Verunsicherten

Dass die breite Mitte inzwischen so empfänglich für extreme Thesen ist, erklärt Julia Ebner mit den vielen Frustrationen, Ängsten und der Wut gegenüber der Politik, die im Zuge der Corona-Krise entstanden seien. Da hätten Faktoren mitgespielt wie Inkonsistenzen in der Rhetorik von Politikern und natürlich auch in der Medienberichterstattung, was – so Ebner – unvermeidbar war, weil wir eine Krise einer solchen Dimension vorher noch nie erlebt hätten. Das habe sehr viel an Skepsis und Misstrauen ausgelöst und diese Emotionen seien von Extremisten instrumentalisiert worden.

Ebner zeigt, wie auf Telegram und andern einschlägigen Plattformen beobachtet werden konnte, das unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine deutsche Corona-Leugner und Impfgegner ihren Fokus ganz plötzlich auf den Krieg verlagert haben. Das sei klar aus Opportunismus geschehen: "Man versucht sich anzupassen an die neuesten, relevantesten und vor allem kontroversesten Themen, die hyperpolarisierend sind", so Ebner. "Dazu kommt auch, dass die prorussischen Staatsmedien in den letzten Jahren ganz strategisch die Corona-Leugnungs- und die Querdenker-Szene nach oben befördert haben und über ihre Ideen berichtet haben und deswegen eine Art Fan- oder Unterstützungsbasis aufgebaut haben unter diesen Bewegungen." So sei die Putin Sympathie und die prorussische Einstellung unter denjenigen zustande gekommen, die davor schon diese Medien konsumiert haben; namentlich nennt Ebner die russischen Medien RT Deutsch und Sputnik.

Zurück zum Dialog

"Das Mainstreaming von radikalen Ideen wäre nicht so erfolgreich, wenn unsere Gesellschaft nicht so gespalten wäre, wenn es eine stärkere resilientere Mitte gebe", sagt Julia Ebner. Um den antidemokratischen Bewegungen Einhalt zu gebieten, setzt die Extremismusforscherin auf Strategien, um den Dialog wieder herzustellen. Dass man zum Beispiel auch im persönlichen Umfeld wieder mit Menschen spricht, die man seit der Pandemie nicht mehr verstehe, und die ganz andere politische Ansichten haben als man selbst.

Zum Artikel: Rechts, links, diffus: Extremismus hat immer mehr Gesichter

Stärkung der digitalen Kompetenzen

Auch müsse das Bildungssystem gestärkt werden, damit alle – sowohl die jüngsten als auch ältere Generationen – widerstandsfähiger werden, "resilienter für die psychologischen Effekte des Internets und der digitalen Medien. An der Schnittstelle zu arbeiten, von Psychologie und digitalen Kompetenzen, das ist was, was derzeit noch im Bildungssystem komplett fehlt. Aber diese psychologische Komponente ist das, was die Manipulation durch Extremisten stärkt, was uns alle auch anfällig macht für radikale Ideen und für Verschwörungsmythen, die ja vor allem online transportiert werden."

Undercover in extremistischen Foren

Julia Ebner selbst hat sich im Rahmen ihrer Extremismusforschung immer wieder undercover in Online-Foren eingeschmuggelt, um die Anfälligkeit für radikale Positionen und die Mechanismen der Manipulation zu begreifen. Ein schwieriges und zuweilen auch sehr emotionales Unterfangen, wie sie im Interview mit dem BR sagt: Etwa als sie sich als frustrierter Mann in ein Incel-Netzwerk, ein frauenfeindliches Online-Forum einwählte.

Für sie sei es generell bei solchen Undercover-Aktionen schwer, nicht einzuschreiten und zum Beispiel zu versuchen, Menschen wieder zurückzuholen. Aber sie sei eben keine ausgebildete Psychologin, sondern eine Forscherin, die verstehen will, was diese Menschen motiviert und warum sie sich diesen Bewegungen anschließen. Aber gerade in der frauenfeindlichen Incel- Bewegung sei es für sie "noch mal eine Spur schwieriger" gewesen, "weil das auch natürlich meine Identität angreift als Frau. Und weil ich mir hier mit meinem männlichen Avatar sehr viele, wirklich zutiefst frauenfeindliche teilweise sogar gewaltvolle Inhalte ansehen musste und denen permanent ausgesetzt war."

Julia Ebner: "Massenradikalisierung. Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt" ist bei Suhrkamp erschienen.

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