"Die meisten Kunden, die ich hatte, waren verheiratet", erzählt Jutta aus dem Off, "einer ließ seine schwangere Frau im Wagen warten, während er mit mir zu Gange war. Wir wollten was anderes, wir wollten frei sein und wir wollten Kohle machen."
Wie umgehen mit Tätern und Opfern?
Geschichten aus St. Pauli sind das, Geschichten von der Reeperbahn. Geschichten, die weh tun und gleichzeitig Kultstatus genießen. Genau solche Geschichten erzählt die Serie "Luden" aus der Perspektive ihrer Protagonisten, der erfahrenen Prostituierten Jutta und des angehenden Zuhälters Klaus, der sein Lebensmotto wie folgt formuliert: "Wenn du ein Lude sein willst, dann brauchst du drei Dinge: Du darfst nicht ganz blöd sein, du darfst nicht ganz hässlich sein und du darfst nicht ganz feige sein."
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Die Reeperbahn als schmutziges Hollywood - so zeigt es die Serie. Alle träumen von Ruhm und Ehre und dem großen Geld, doch der nächste bezahlte Quickie ist nur einen Seitensprung entfernt. Natürlich sind da auch Gewalt, Missbrauch, Misogynie und toxische Männlichkeit. Sie hätten sich bei der Produktion ständig gefragt, ob das jetzt angemessen sei oder nicht, erzählt Drehbuchautor Rafael Parente im Interview. "Es fasziniert die Leute einfach und ich weiß, dass es da auch eine sehr kontroverse Diskussion darüber gibt: Wie sehr stellt man die Täter noch einmal in ein Rampenlicht? Wie geht man mit den Opfern um? Das ist jedes Mal schwierig zu beantworten."
Ein Kaleidoskop verschiedener Perspektiven
Schwierig, ja. Aber "Luden" kriegt diesen Spagat gut hin. Ohne Schwarz-Weiß-Denken, ohne Voyeurismus, dafür mit komplexen, glaubhaften Figuren, mit der Härte, die es in diesem Business ohne Frage gibt, und, ja, auch mit einer Prise Verklärung, die dieses Milieu prägt. Aber eben immer gebrochen.
Parente und seine Kolleginnen haben kleinteilig recherchiert, haben mit Prostituierten, Freiern und Polizisten gesprochen und mit der (umstrittenen) St.-Pauli-Berühmtheit Klaus Barkowsky, der das Vorbild für den "schönen Klaus" der Serie ist: "Es wäre schon schön, wenn die Leute das Handy zücken und recherchieren", sagt Parente, "das habe ich damals zum Beispiel bei 'The Crown' gemacht und habe mich so parallel informiert. Wir haben wirklich versucht, wie in einem Kaleidoskop, die verschiedenen Perspektiven auf diese Geschichte einzufangen."
Nicht nur durch die männliche Brille
Das merkt man der Serie an. Nicht nur der männliche Blick, auch eine weibliche Perspektive ist in der Serie durchweg präsent, allein schon durch die Hauptfigur Jutta, die aus dem Off erzählt. Auch in der Produktion selbst besetzten mit Regisseurin Laura Lackmann und Drehbuchschreiberin Vivien Hoppe zwei Frauen Schlüsselpositionen. Damit "Luden" eben keine Männergeschichte wird, wie zum Beispiel "Der König von St. Pauli" von Dieter Wedel. "Wir haben schon eine ganz andere Sichtweise auf die Welt", betont Parente, "wir haben eine andere Sichtweise auf Gender, auf patriarchale Strukturen. Wir wollten keine Sexualisierung weiblicher Körper."
Die Serie hat einen schmutzig-schmierigen Look. Fettige Haare, schwitzige Gesichter und dreckige Kneipen, wie die "Ritze", stehen sinnbildlich für das Geschäft. Dabei blitzt aber auch immer wieder das Versprechen durch, das die Reeperbahn für Menschen, die dort hängenbleiben oder hingehen, bereithält.
Eine Serie fürs Heute
Themen wie Gender, Emanzipation und Identität sind in der Geschichte allgegenwärtig. Auch Gewalt. Das macht die Serie zeitgemäß und relevant. Dass es eben keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen gibt, dass Vorstellung und Realität oft auseinanderklaffen, dass Manipulation eine gängige Methode ist und der Kampf um Macht eine gesellschaftliche Konstante - diese Schlüsse darf man von den späten 70er- und beginnenden 80er-Jahren, von denen die Serie erzählt, gerne ins Hier und Jetzt mitnehmen.
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