Kulturhistorisch betrachtet könnte man den Vorgang als Versuch einer Krönungszeremonie deuten, wenngleich sie nicht so recht glücken wollte. So wie die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches bei ihrem Amtsantritt feierlich mit dem Krönungsmantel bekleidet wurden, bekam Lionel Messi einen schwarzen Umhang mit goldenen Bordüren umgehängt. Er wurde sozusagen zum Kaiser des Fußballs erkoren.
Verwunderung über Bekleidungszeremonie bei WM Feier
Der Emir von Katar Tamim bin Hamad Al Thani und Fifa Boss Gianni Infantino hatten vor der Zeremonie noch hektisch auf Lionel Messi eingeredet, das Kleidungsstück anzuziehen. Dieser zeigte sich zuerst wenig begeistert, fügte sich dann aber und streifte den Umhang über. Das Bild sorgte vielerorts für Verwunderung. Es handelt sich um einen Bischt, einen traditionellen arabischen Mantel, der vor allem in den Golfstaaten zu besonders festlichen Anlässen wie Hochzeiten und Vertragsabschlüssen getragen wird.
Instrumentalisierung des Fußballs
In westlichen Medien stieß die Aktion auf massive Kritik. Viele Kommentatoren sahen darin eine weitere Instrumentalisierung des Fußballs für die politische PR des Wüstenstaates. "Da nimmt man dem Spieler einen ganz großen Moment. Ich fand es auch nicht gut," sagte Ex-Weltmeister Bastian Schweinsteiger in der ARD. "Ich glaube, da war Messi selber auch nicht glücklich." Handlungsspielraum hatte Messi aber offenbar wenig, schließlich bezahlt der Emir über einen katarischen Staatsfonds sein üppiges Gehalt beim Fußballclub Paris St. Germain. Der ehemalige englische Fußballprofi Gary Lineker sagte in der BBC: "In gewisser Weise ist es beschämend, dass sie Messi in seinem argentinischen Trikot verdeckt haben." Moderator Johannes B. Kerner twitterte, dass bei der kommenden Europameisterschaft 2024 in Deutschland der Kapitän der Siegermannschaft dann eine Lederhose anziehen müsse und eine Kuckucksuhr umgehängt bekomme.
Der Herrscher gewährt dem Fußballer seine Huld
Der Islamwissenschaftler Christoph Werner von der Uni Bamberg bemerkt, "dass die Verleihung von solchen Kleidungsstücken im gesamten Nahen und Mittleren Osten kulturhistorisch immer eine hierarchische Beziehung herstellt zwischen dem Schenkenden (Herrscher) und dem Beschenkten (dem loyalen Gefolgsmann): Es ist also nicht nur ein Folklore-Geschenk, sondern stärkt die Position des verleihenden Herrschers, der damit seine Huld (mittelalterlich ausgedrückt), gegenüber dem erfolgreichen Sportsmann ausdrückt."
Fragwürdige Symbolhandlung
Auch Bettina Gräf vom Institut für den Nahen und Mittleren Osten an der LMU sieht in der vermeintlichen Würdigung des Fußballers mit einem traditionellen Bischt eine fragwürdige Symbolhandlung. Der Bischt wird in der arabischen Welt von hohen Würdenträgern bei feierlichen Anlässen getragen, auf denen die Kleiderordnung bekannt ist. "Man hätte Lionel Messi vor der Zeremonie zumindest informieren müssen, um was es sich bei dem Mantel handelt." Sie vermutet, dass der verwendete Bischt mit dem schwarz schimmernden Stoff speziell für die WM gefertigt wurde. Das transparente Gewebe sollte das argentinische Nationaltrikot nicht ganz verdecken, sondern noch durchschimmern lassen. Nichtsdestotrotz erscheint der Vorgang wie der peinliche Versuch einer Aneignung des Fußballs durch die lokale Kultur.
Oder doch nur ein Ehrenzeichen?
In der arabischen Welt wird die Mantelzeremonie dagegen vorwiegend als Ehrerbietung gegenüber dem großen Fußballer Lionel Messi gewertet. Der Islamwissenschaftler von der Universität Exeter, Mustafa Baig sagte dem Sender Al Jazeera "die Katarer ehrten im Grunde Messi, indem sie ihm den Bischt über die Schultern legten. Es ist ein Ehrenzeichen und einfach eine Art kulturelle Begrüßung." Auch Salah Fakhry von der Friedlich-Alexander-Universität Erlangen sieht in der Verleihung des Bischt an Lionel Messi den Versuch der Katarer, die hohe Wertschätzung des Fußballers Lionel Messi zum Ausdruck zu bringen. "Nicht jeder darf im arabischen Raum einen Bischt tragen, nur Männer in hohen Positionen."

Argentinische Fans feiern
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