Beim Besuch der Tsinghua-Universität mit deren Präsident Wang Xiquin
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Russland Premierminister Mischustin (rechts) besucht China

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"Löste Schock aus": Steht Putin vor einem Diplomatie-Debakel?

Der China-Besuch des russischen Ministerpräsidenten Mischustin erweist sich aus Sicht Moskauer Experten als Katastrophe, ebenso ein Auftritt von Ex-Präsident Medwedew. Blogger sind außer sich: "Wenn das Pferd tot ist, hilft keine Wiederbelebung."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

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Russland Premierminister Mischustin (rechts) besucht China

"Sieht so aus, als ob noch mehr Gas für Sibirien übrig bleibt", sagte der russische Oligarch Oleg Deripaska gänzlich ironiefrei zur Meldung, wonach China überraschenderweise lieber eine Pipeline nach Turkmenistan bauen will, statt, wie schon lange geplant, nach Sibirien. Deripaska versuchte die Russen damit zu trösten, dass ihr Gas ersatzweise der regionalen chemischen Industrie zugute komme, doch dieses Argument hielten nicht mal Putins Propagandisten für plausibel, zumal China derzeit sehr darum bemüht ist, Handelsrouten unter Umgehung Russlands direkt nach Zentralasien voranzubringen. Chinas unvermittelte Pipeline-Wende nach Zentralasien habe in Moskau "Schockwellen" ausgelöst, hieß es in einem viel gelesenen russischen Blog.

Der russische Gasproduzent "Gazprom" befinde sich in einer "katastrophalen Exportsituation", will die Nachrichtenagentur Reuters von einem Informanten erfahren haben. China kaufe nur ein Siebtel der Menge, die früher nach Europa gegangen sei und zahle dafür weniger als ein Drittel. Derzeit gebe es einen "Käufermarkt", hieß es in einer Recherche der "Moscow Times", und Peking wolle sich von Russland nicht abhängig machen. Außerdem werde zur Zeit einfach nicht mehr Gas benötigt.

Verschärft wird das Problem dadurch, dass die russischen Steuereinnahmen im ersten Quartal des laufenden Jahres um zwanzig Prozent einbrachen, die Öl- und Gaseinnahmen sogar um fast fünfzig Prozent. Putin ist also dringend auf chinesische Unterstützung angewiesen, will er keinen Staatsbankrott und soziale Unruhen riskieren - immerhin raunen seine eigenen Leute, der Krieg könne noch "Jahrzehnte" dauern. Kein Wunder, dass der von Meinungsforschern gemessene "Angst-Pegel" in Russland in jüngster Zeit neue Rekorde erreicht. "Es hat sich eine gewisse Spannung aufgebaut", urteilt der russische Politologe Alexej Moschkow im Portal "VNNews": Er ist alles andere als zufrieden mit dem jüngsten Besuch einer großen Delegation unter Leitung des russischen Ministerpräsidenten Michail Mischustin in Peking.

"Sie wollen nicht das kleinste Risiko eingehen"

Der Empfang sei betont "kühl" gewesen, zahlreiche chinesische Politiker und Wirtschaftsführer hätten sich geweigert, mit der russischen Delegation zu sprechen, so Moschkow unter Berufung auf mitreisende Augenzeugen: "Die Chinesen haben große Angst vor Sanktionen. Selbst Großunternehmer, die öffentlich sprechen sollten und wollten, wurden von den Behörden nicht zu dem Treffen zugelassen – sie wollen nicht das kleinste Risiko eingehen." Nicht nur die auf Eis gelegte Pipeline nach Sibirien sei ein "Misserfolg": Gleichzeitig griffen chinesische Finanz-Magnaten nach russischen Banken, was eine "Katastrophe" sei und Moskaus Spielräume zu verengen drohe. Und solange China seine Öl- und Gasimporte aus Russland mit dem nicht konvertierbaren "Volksgeld" Renminbi Yuan bezahle, habe Moskau nicht viel davon.

"Alles wird von den Ergebnissen der ukrainischen Gegenoffensive abhängen. Wenn die Russische Föderation überlebt, wird China auf Linie bleiben, wenn alles auseinanderfällt, dann wird Peking meiner Meinung nach zeigen, dass es keine Zeremonien für die Schwachen abhält", so Moschkow. Es sei auch keine gute Idee gewesen, zeitgleich zu Mischustins Stippvisite in Peking den russischen Ex-Präsidenten und Sicherheitspolitiker Dmitri Medwedew nach Vietnam zu schicken, einem Land, dass mit China nicht gerade befreundet ist. Da habe wohl irgendjemand versucht, Putin "reinzulegen", vermutet der Politologe, möglicherweise aus Angst davor, dass Mischustin sich in Peking zu sehr als potentieller "Nachfolger" aufspielen könnte.

"Chinesen bevorzugen Mäßigung"

Alexander Nasarow vom Verband der russischen Politikberater warnte in einer Stellungnahme vor einem "dornigen Weg" in Russlands Beziehungen zu China: "China ist so wechselseitig in die Weltwirtschaft und -politik eingebunden, dass jeder Schritt unseres fernöstlichen Nachbarn gegenüber Russland von den dortigen Managern auf Hunderte von Vektoren und Folgen geprüft werden muss. Auf die gewünschte Schnelligkeit und Loyalität aus China lohnt es sich definitiv nicht zu warten. Und wenn man nach einer bekannten Tradition in Russland lange leben muss, um irgendeinen Prozess zu Ende zu führen, dann braucht man in China noch viel mehr Zeit. Eile wird im Osten nicht akzeptiert, Mäßigung wird bevorzugt."

"Wir brauchen ein neues Pferd"

Wie auch immer: China war wohl verschnupft, dass Medwedew in Hanoi Schlagzeilen machte, während Mischustin in Peking um "gut Wetter" warb. Und als ob die "Misserfolge" in China nicht schon frustrierend genug waren, scheuchte Medwedew mit wüsten Äußerungen auf einer Pressekonferenz auch noch das russische Außenministerium auf. Nachdem er wieder mal über eine Aufteilung der Ukraine fantasiert und mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht hatte, beeilte sich der stellvertretende Außenminister Sergei Rjabkow klarzustellen: "An unserer Herangehensweise an dieses komplexe und für viele besorgniserregende Thema hat sich nichts geändert."

"Hassgesänge und Horrorgeschichten"

Der bekennende Putin-Fan und Politikwissenschaftler Sergej Markow traute sich, Medwedews Visionen, darunter die Aufteilung der Ukraine zwischen der NATO und Russland, als "nicht realistisch" abzuwatschen. Der Chefredakteur der auflagenstarken "Moskowski Komsomolez", Michail Rostowski, beschimpfte Medwedew als Mann, der "sich längst weniger auf ernsthafte politische Äußerungen als vielmehr auf Hassgesänge und Horrorgeschichten" konzentriert habe. Wassili Kaschin von der Moskauer Wirtschaftsuniversität hatte Anfang Mai sogar äußerst pessimistisch geschrieben: "Wenn es Russland nicht gelingt, in absehbarer Zeit die wichtigsten Wirtschaftszentren der Ukraine zu besetzen und zu halten und ihr die wirtschaftliche Lebensfähigkeit zu entziehen, kann man sagen, dass der russische Versuch, das 'ukrainische Problem' zu lösen, ebenso gescheitert ist wie der amerikanische Versuch, das 'russische Problem' zu lösen."

Der Wirrwarr um Medwedew führte dazu, dass Blogger schimpften, Russlands Diplomaten seien "nicht in der Lage, eine einheitliche Position für alle öffentlichen Redner zu entwickeln". Es gebe zwar "keine Panik", aber das Außenministerium komme seinen Aufgaben "objektiv nicht nach". Die zuständigen Beamten müssten ersetzt werden: "Wenn das Pferd tot ist, müssen keine Schaubilder und Pläne zur Wiederbelebung des Pferdes erstellt werden. Wir brauchen ein neues Pferd. Sogar mitten auf der Kreuzung." Dazu passte die Meldung, dass keineswegs alle Russen sonderlich begeistert sind von einer engeren Zusammenarbeit mit China. Umfragen des kremlnahen Levada-Instituts ergaben, dass ausgerechnet im russischen Fernen Osten und in Sibirien die Skepsis gegenüber Peking am größten ist.

"China ermutigt Zentralasien gegen Moskau"

"Während sich Russland auf den Konflikt mit der Ukraine konzentriert, stärkt China sein wirtschaftliches und politisches Engagement in Zentralasien und ermutigt die Länder der Region, die Autorität Moskaus herauszufordern. Insbesondere Kasachstan hat Schritte zur Stärkung der Demokratie und Stabilität im Land unternommen und damit seine Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine zum Ausdruck gebracht", so ein einflussreicher russischer Blogger mit 400.000 Abonnenten. China halte Russland jedenfalls "auf Abstand".

Offenbar liegen die Nerven im Kreml blank, wenn es um die Beziehungen zu Peking geht: Nachdem das "Wallstreet Journal" darüber berichtet hatte, dass der chinesische Sondergesandte Li Hui für einen Waffenstillstand plädiere, und zwar entlang der aktuellen Frontlinie, kam aus Moskau die harsche Drohung, wenn das US-Blatt weiterhin Aktivitäten betreibe, "die nichts mit Journalismus zu tun" hätten und "Desinformationen über Russland" verbreite, bedeute das wohl, dass die Redaktion sich nicht für das weitere Schicksal ihres in Moskau inhaftierten Korrespondenten Evan Gershkovich interessiere. Diese Tonlage erinnerte schon an Geiselnahme und Erpressung. Augenscheinlich war Moskau angefressen, weil über Chinas heikle Vermittlungsversuche vorzeitig Indiskretionen in Umlauf kamen. Nicht auszuschließen, dass Peking dafür hinter den Kulissen russische Plaudertaschen verantwortlich machte.

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