Na klar gab es Liebe in der Renaissance, aber doch wohl mehr die Liebe zu sich selbst. Jedenfalls war es emotional gesehen wohl die kälteste, härteste, rücksichtsloseste Ära der gesamten Neuzeit, eine Ära des sagenhaften Reichtums, der skrupellosen Macht, der totalen Ausbeutung, der blutigen Intrigen. Das schlechte Gewissen war damals noch nicht erfunden, oder, um mit Jakob Fugger zu sprechen: "Fortschritt geht über Leichen". Alle Achtung, welch einen eisigen und treffsicheren Text Andreas Hillger dem genialen, aber eben auch profitgierigen Augsburger Kaufmann da auf den Leib geschrieben hat.
Gewürzt mit etwas Romantik
"Gefühle kann ich mir nicht leisten, die bringen zu wenig Gewinn" singt der reichste Mann seiner Zeit, das Wertvollste, das er von seiner Ausbildung aus Venedig mitgebracht hat, ist das titelgebende "Herz aus Gold". Insofern erfasst das Musical überraschend ernsthaft und authentisch den Zeitgeist der Renaissance, das Problem dabei: Die andere Liebesgeschichte, die zwischen dem kinderlosen Jakob Fugger und der verheirateten Sibylla, die hier behauptet wird, ist von Anfang an unglaubwürdig, ja überflüssig. Doch offenbar dachten die Macher, Eigenliebe allein sei für ein Musical doch allzu karg und würzten die Renaissance daher mit etwas Romantik.
"Mehr kann man nicht wollen"
Schade, das passte nicht so recht zueinander und führte auch zum einzigen unfreiwilligen Lacher des Abends. Dass der gewiefte Machtmensch Fugger schnell entschlossen die Tochter der Frau heiratet, die er nicht erobern kann, wirkte konstruiert und plump. Gleichwohl war es eine sehr achtbare Uraufführung mit einem ungewöhnlichen Thema. Komponist Stephan Kanyar durfte aus dem Vollen schöpfen.
Was das Theater Augsburg mir zur Verfügung stellt: Die tollen Augsburger Philharmoniker, erweitert um eine Pop-Rockband, um die ganze Palette bedienen zu können, den großen Opernchor, zehn Musicalstudenten der Akademie August Everding, um das Ensemble kräftiger zu machen, und Chris Murray und Roberta Valentini als echte Musicalstars hier in den Hauptrollen, da kann man als Musical-Komponist einfach nicht mehr wollen. - Stephan Kanyar
Zungenschlag der Renaissance
Stephan Kanyar hat sich vom großen Renaissance-Komponisten und Münchner Kapellmeister Orlando di Lasso inspirieren lassen, aber das merkten wohl nur Eingeweihte. Tatsächlich gelangen Kanyar eine ironische Augsburg-Hymne, ein paar musicaltypische Ohrwürmer, vor allem aber kitscharme Theatermusik über Aufstieg und Fall eines zwangsläufig einsamen Erfolgsmenschen.
Deswegen habe ich für mich den Begriff des "renaissancigen" Zungenschlags gefunden, weil ich mich bemüht habe, in Momenten etwas aufleuchten zu lassen, wo man weiß: Aha, da sind wir, da sind wir auch zeitlich, aber das gebe ich dann ganz schnell auf zugunsten einer heutigen, populären Sprache, die mir entspricht, weil ich natürlich den Emotionen der Figuren nur aus meiner heutigen Sicht Klang verleihen kann. - Stephan Kanyar
Monatlich neue Weltgegenden
Regisseur Holger Hauer und sein Ausstattungsteam Karel Spanhak und Sven Bindseil verzichteten weitgehend auf authentische Renaissance-Kostüme und damit auf eine Optik, wie sie Bürger- und Burgenfesten eigen ist. Nur Jakob Fugger selbst trägt Pelz und Haube, der Kaiser Maximilian dagegen ist eher eine schwermütige Jahrmarktsfigur, die eleganten Roben der feinen Gesellschaft sind ironische Zitate aus ferner Zeit. Das alles wirkt erfreulich frisch, heutig, nicht die Spur betulich oder prunkend. Kühl auch das Bühnenbild: Eine Showtreppe aus Golddukaten, davor das karge Kontor der Fugger, voll gestopft mit Buchhaltung und Landkarten - die waren damals wichtig, denn es wurden praktisch monatlich neue Weltgegenden entdeckt, aus denen man seinen Profit ziehen konnte. Das Narrenschiff zieht seine Bahn, und dann tritt auch noch Martin Luther auf und hält Ablässe für Hokuspokus - ein Alptraum für "Vertriebschef" Fugger.
Mitnehmen konnte auch er nichts
Zwei adlerbekrönte Lautsprechersäulen wirkten geradezu einschüchternd. Der Jubel für diesen Kapitalismus-Reißer ging am Ende völlig in Ordnung: Chris Murray in der Hauptrolle hatte zwar vor der Pause Schwierigkeiten, den kalten, jugendlichen Machtmenschen Fugger zu verkörpern, als alter, verknöcherter "Herr der Schmiergelder" war er jedoch eindrucksvoll. Roberta Valentini als seine Geliebte überzeugte mit ihrer ruhigen, gravitätischen Art - ja, so eine forsche Diva hätte den alten Fugger vorzüglich ergänzt. Tänzer und Chor machten ihre Sache beachtlich, obwohl beide hier nicht im Vordergrund standen. Am Ende leuchten Fackeln dem sterbenden Fugger den Weg in eine andere Welt - mitnehmen konnte auch er nichts, aber das hat in der Renaissance keinen gestört.
Wieder am 3., 5., 6., 7. und 8. Juli, viele weitere Termine.