Archivbild: Klimaprotest in Hamburg
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Letzte Generation: Rettet der "Gebärstreik" das Klima?

Anhänger des "Gebärstreiks" bekommen keine eigenen Kinder, weil das laut einer Studie besonders viel CO2 einspart. Die Aktivisten sehen sich als Teil einer Solidar- und Protestbewegung, mit dem Ziel, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren.

Kann man in die heutige Zeit überhaupt noch ein Kind in die Welt setzen? Diese polarisierende Frage wurde in der Vergangenheit, in Zeiten von Krisen, schon häufiger diskutiert und ist gerade wieder hochumstritten. Aktuell haben knapp 40 Prozent der 16 bis 24-Jährigen Zweifel, ob sie überhaupt ein Kind bekommen wollen. Das geht aus einer weltweiten Befragung von 10.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem Jahr 2021 hervor. Viele Frauen entscheiden sich heute, lieber keine Kinder zu bekommen.

Aus gesellschaftlichen Gründen keine Kinder bekommen

Zoe Ruge, Verena Brunschweiger und Blythe Pepino sind drei Frauen, die für sich entschieden haben, keine Kinder zu bekommen, nicht aus egoistischen Gründen, sondern aus gesellschaftlichen. Zoe Ruge ist 23 Jahre alt und steht kurz vor ihrem Bachelor-Abschluss der Kultur- und Geisteswissenschaften an der Universität Freiburg. Ihre Bachelor-Arbeit schreibt sie über Frauen im zivilen Widerstand. Seit gut einem Jahr befindet sich die Aktivistin der "Letzten Generation" auch selbst im zivilen Widerstand.

Wie mehrere Frauen in ihrem Alter kann auch sie sich nicht vorstellen, ein Kind in diese Welt zu setzen. "Ganz persönlich macht es mir einfach total Angst, dass ich nicht weiß, wie sich die Welt entwickelt und wo ich dieses Kind hineingebe", meint Ruge. Sobald das Kind da sei, hätte sie die Verantwortung für dieses Kind und wolle natürlich das Beste für das Kind. Allerdings wisse sie nicht, "wie diese Welt in zehn Jahren aussieht oder in fünf Jahren".

Zoe Ruge findet es verantwortungslos, einen neuen Mensch in eine Welt zu setzten, auf der es schon zu viele Menschen gebe und der Lebensraum immer kleiner werde. "Menschen werden flüchten in die Räume, die noch zu beleben sind“, so die Aktivistin.

Verzicht auf Nachwuchs als Ausweg aus der Klimakrise?

Wie Zoe geht es mittlerweile immer mehr jungen Menschen. Ihr Leben ist geprägt von Krisen und Unsicherheiten. Die drohende Klimakatastrophe verursacht auch "Climate anxiety", die Klimaangst. Der Begriff existiert in der psychologischen Forschung schon länger. Fast die Hälfte der jungen Menschen in den Industrienationen überlegt daher, lieber keine Kinder zu bekommen.

Doch nicht nur aus Angst vor der Zukunft, wollen einige auf eigenen Nachwuchs verzichten. Sie sehen in dem Verzicht auf Fortpflanzung auch einen möglichen Ausweg aus der Klimakrise. Die Idee: Weniger Menschen auf dem Planeten bedeuten auch weniger CO2 – also eine langsamer fortschreitende Erderwärmung.

So sieht das auch Verena Brunschweiger. Die 42-Jährige ist Lehrerin an einem Gymnasium in Regensburg. In ihrer Freizeit setzt sie sich dafür ein, andere davon zu überzeugen, selbst keine Kinder zu bekommen. Zwei Bücher hat sie dazu schon veröffentlicht. Dabei hat sie nicht immer gesagt, dass sie keine Mutter werden will. "Das wird mir oft unterstellt, aber das stimmt gar nicht. Ich könnte mir das durchaus vorstellen. Das sind wichtige Entscheidungen, die man nicht einfach aus dem Bauch heraus entscheiden sollte", sagt Brunschweiger. Bei der Beschäftigung mit dem Thema war Verena Brunschweiger auf eine schwedisch-kanadische Studie gestoßen.

Studie: Verzicht auf Kind spart viel CO2 ein

Diese Studie erschien vor gut fünf Jahren von der Universität Lund und der University of British Columbia – und sorgt für mächtig Aufruhr. Darin steht, am wirksamsten gegen die Erderwärmung wäre es, wenn vor allem Menschen in Industrienationen ein Kind weniger bekämen. Der Verzicht auf ein Kind soll mehr als zehnmal so viel CO2-Emissionen einsparen wie der Verzicht auf ein Auto, so das Studienergebnis.

Doch es gibt auch Kritik an der Studie: Die Autoren der Studie Seth Wynes und Kimberly Nicholas gehen davon aus, dass ein in die Welt gesetztes Kind auch den CO2-Fußabdruck der folgenden Generationen beeinflusst. Es werden also Kinder- und Kindeskinder über mehrere Generationen in der Zukunft berücksichtigt; vergleichbar mit Zinsen und Zinseszinsen. Die Möglichkeit, dass künftige Generationen ihren Konsum ändern und klimafreundlicher leben könnten, berücksichtigt die Studie nicht.

Darüber hinaus gehen die Wissenschaftler in ihren Berechnungen davon aus, dass der CO2-Fußabdruck von Anfang bis Ende eines Lebens gleichbleibend hoch ist. Das stimme aber nicht mit der Realität überein, wie Experte Michael Bilharz die Studienergebnisse kritisch gegenüber dem WDR-Magazin "Quarks" einordnet. Zu Beginn des Lebens beispielsweise sei der CO2-Fußabdruck eher gering, weil in den ersten Lebensjahren Aspekte wie Heizkosten, Mobilität und Konsum kaum ins Gewicht fielen.

"Birthstrike"-Bewegung in Großbritannien

Überzeugt davon, weniger CO2 zu produzieren durch weniger Geburten in den Industrienationen, hat sich in Großbritannien die "Birthstrike"-Bewegung formiert, also ein "Gebärstreik". Bekannt wurde die Bewegung durch die Popularität ihrer Gründerin, der britischen Pop-Sängerin Blythe Pepino. Für sie ist "Birthstrike" vor allem eine Solidarbewegung und eine Protestbewegung, die zeigen soll, wie ernst die Lage sei. "In dieser Situation geht es um Leben und Tod", ist Blythe Pepino überzeugt.

Mit 33 Jahren gründete Blythe Pepino trotz Kinderwunsch die Birthstrike-Bewegung. Mit einer zunehmenden Zahl an Anhängern hofft sie, den Ressourcenverbrauch der reichen Länder zu reduzieren und gleichzeitig Druck auf die Politik auszuüben.

Rahmenbedingungen für künftige Nachkommen verbessern

Im Gegensatz zu Blythe Pepino ist für die 23-jährige Klimaktivistin Zoe Ruge die Entscheidung gegen ein eigenes Kind weniger politisch. Ihr geht es vor allem um die Rahmenbedingungen, die sie ändern will – bis die Welt so ist, dass auch sie selbst guten Gewissens ein Kind haben könnte. "Die Entscheidung, keine Kinder bekommen zu wollen in dieser Welt, ist für mich eine persönliche Entscheidung. Ich kenne viele Menschen, die ähnliche Gedanken haben", sagt Zoe Ruge.

Gleichzeitig sei es keine Entscheidung, die sie jedem aufzwingen möchte, "weil ich finde, wir sollten mit Optimismus und Hoffnung in diese Zukunft gehen. Und das Weiterleben unserer Gesellschaft gehört auf jeden Fall dazu."

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