Klar, die Begleitumstände könnten diesmal wirklich weniger aufreibend sein, aber die Bayreuther Festspiele hatten eigentlich jedes Jahr ihren Skandal, mal kleiner, mal größer, und selten ging es dabei um die Kunst. Dass Katharina Wagner (44) öffentlich ankündigte, mit einer FFP3-Maske zum traditionellen Eröffnungs-Empfang der Bayerischen Staatsregierung zu gehen und dort auch nur ganz kurz zu bleiben, um den Geldgebern pflichtschuldigst zu danken, ist natürlich nur eine Irritation am Rande. Offenbar will sie damit ihren Unmut ausdrücken über den laxen Umgang mit der Pandemie, jedenfalls hat sie allen ihren Mitwirkenden per Pressekonferenz "dringend" geraten, dem Event fernzubleiben.
"Ring"-Dirigent muss wegen Corona pausieren
Dass es zum Auftakt der Festspiele lediglich eine Online-Information der Journalisten gab, bei der die Teilnehmer jeweils einzeln von ihren Aufenthaltsorten zugeschaltet wurden, spricht auch für ein gewisses Maß an Nervosität auf dem Grünen Hügel. Und dass, wo in den Theatern und der Gesellschaft ungeachtet hoher Infektionszahlen eigentlich längst wieder "Normalbetrieb" herrscht, jedenfalls was die Zuschauer betrifft. Kaum jemand trägt Maske, an den Büfetts wird wieder ausgiebig geplaudert und gezecht, Corona-Sorgen scheinen bei denen, die sich noch in die Häuser trauen, weit weg.
Nun gab es in Bayreuth seit Probenbeginn im Juni rund achtzig positiv Getestete, wie es offiziell hieß, 15 davon sollen immer noch in Quarantäne sein. Der finnische Dirigent Pietari Inkinen (42) erkrankte so schwer, dass er nicht in der Lage war, wie geplant an den Endproben zum vierteiligen "Ring des Nibelungen" teilzunehmen, der diesjährigen Neuproduktion.
Ob der bisher in Europa eher wenig bekannte Künstler Wagners Tetralogie eindrucksvoll interpretieren kann, wird sich also erst nächstes Jahr erweisen. Kurzfristig sprang Cornelius Meister (42) ein, der Generalmusikdirektor des Staatstheaters Stuttgart, der bei dortigen Wagner-Aufführungen mit einer Vorliebe für auftrumpfendes Pathos und einer recht zupackenden Lautstärke zu beeindrucken wusste, was die Sänger vermutlich weniger schätzten.
"Ich meine das, wie ich es sage"
Neben der Corona-Situation, die offenbar höchst unterschiedlich bewertet wird, überschatten den Auftakt in Bayreuth Meldungen, wonach es im Festspielhaus in den letzten Jahren immer wieder mal zu sexistischen Vorkommnissen gekommen ist, wobei derzeit niemand zu sagen weiß, um wie viele Fälle es sich eigentlich handelt. Ob es jeweils körperliche oder verbale Übergriffe gab und was sich hinter Zitaten verbirgt, wonach sich einzelne Mitarbeiter über eine "unangemessene Tonlage" von Kollegen beschwert haben, ist ebenfalls unklar.
Fest steht: Katharina Wagner war nach eigenen Worten selbst von Sexismus betroffen und wundert sich, dass sie bisher wenig bis gar keine Beschwerden aus der Belegschaft erreicht haben: "Ich meine das genauso, wie ich es sage: Man kann mir Briefe unter die Bürotür schieben, wenn man nicht bei diesem anonymen Briefkasten im Haus gesehen werden will, man weiß, wo ich wohne, die Mitwirkenden wissen das. Ich möchte alles dafür tun, dass die Mitwirkenden beschützt werden", sagte sie auf der Pressekonferenz.
"Keine von den Damen wurde ausgetauscht"
Nun ist es kein Geheimnis, dass Künstler mit großen Egos leicht entflammbar und auch nicht frei von Intrigen sind. Solange es daher "nur" Gerüchte über angeblichen Sexismus sind, die medial herumwabern, ist höchste Vorsicht angebracht: "Mich betrifft das nicht unbedingt als Festspielleiterin, auch, aber auch als Regisseurin und Privatperson. Ich kann mich wehren, ich bin in keinem Abhängigkeitsverhältnis. Ich habe mich auch gewehrt, und zwar sehr deutlich. Was es dazu zu sagen gibt: Wir gehen mit dem Thema seit Jahren sensibel um, man muss es allerdings wissen."
Immerhin, ein konkreter Fall wird debattiert: Der frühere Generalmusikdirektor Christian Thielemann (63) und diesjährige Dirigent des "Lohengrin" hat sich wohl intern darüber beschwert, dass gleich zwei Kontrabassistinnen in einer der beiden achtköpfigen Gruppen neu besetzt wurden und pochte intern auf eine Änderung: "Keine von den Damen wurde von mir ausgetauscht, natürlich nicht. Sie sind beide hervorragende Musikerinnen", so die Festspielchefin dazu.
Thielemann: "Das läuft alles richtig"
Es ist kein Geheimnis, dass Katharina Wagners Verhältnis zum selbstbewussten Thielemann, der künstlerisch wie politisch als "Konservativer" gilt, angespannt ist. Dessen Vertrag als Musikchef auf dem Grünen Hügel wurde nicht verlängert, trotzdem ist er Stammgast im Orchestergraben und leitet in diesem Jahr den "Lohengrin". Trotz mehrfacher Nachfrage wollte der Dirigent im BR Klassik-Interview von irgendwelchen Gereiztheiten nichts wissen: "Glauben Sie mir, da gibt es gar keinen Gram und gar nichts. Ich beobachte das und wünsche den Kollegen alles, alles Gute. Da müssen ja auch immer welche nachwachsen. Natürlich kenne ich mich sehr, sehr gut aus, ich nutze das für das Stück, für das ich engagiert bin, das läuft alles richtig." Thielemann ist der einzige lebende Dirigent, der in Bayreuth alle zehn dort gegebenen Werke musikalisch geleitet hat. Seine Wagner-Expertise ist unbestritten.
"Thielemann hat immer ein freundliches Wort"
Es fiel auf, dass der einflussreiche Verwaltungsratschef Georg von Waldenfels gleich das Gespräch mit Thielemann suchte, auch mit dem Orchestervorstand, und danach vermelden konnte, dass es nach ersten Rücksprachen keinerlei "Beleidigungen" oder "Übergriffe" gegeben habe, auch nicht den beiden Kontrabassistinnen gegenüber: "Ich habe mich mit einer der Damen unterhalten, die mir ausdrücklich gesagt hat, Herr Thielemann müsse ja immer an ihnen vorbeilaufen und habe immer ein freundliches Wort für sie. Sie könnten sich das überhaupt nicht vorstellen." Der Dirigent wisse, dass es nicht einen "Funken Verdacht" geben dürfe, so von Waldenfels. Allerdings habe Thielemann "gestört", dass ein internes Schreiben an die Öffentlichkeit kam.
Das spricht sehr dafür, dass es nicht nur um Sexismus, sondern auch um einen veritablen Machtkampf geht, zumal Katharina Wagner per dpa-Interview im Vorfeld der Festspiele "Reformen" forderte, ohne zu sagen, welche. Das müsse erstmal intern besprochen werden. Tatsächlich reden in Bayreuth viele mit - Bund, Land, Bezirk, Stadt und die Gesellschaft der Freunde der Festspiele - das macht Entscheidungen kompliziert.
"Junge Helden spielen ist anstrengend"
Zu denen, die in diesem Jahr künstlerisch besonders gefordert sind, gehört der amerikanische Tenor Stephen Gould, der in seinem 60. Lebensjahr steht und ungeachtet dessen drei enorm kraftzehrende Rollen zu meistern hat: Tristan, Tannhäuser und Siegfried. Stimmlich und konditionell sei das gar nicht so schwierig: "Diese jungen Helden auf der Bühne zu spielen ist das Problem, das ist etwas anstrengend. Singen ist von der Partie her nicht das Problem." Besonders mit dem jugendlichen Siegfried, der munter über die Bühne springt, sein Schwert schmiedet und einen Drachen tötet, hadert der Sänger inzwischen etwas und äußerte gegenüber BR Klassik die gar nicht so leise Hoffnung, dass ihn in dieser Rolle demnächst jüngere Kollegen ersetzen.
"Große Kunst der Dosierung"
Die Auftakt-Premiere "Tristan und Isolde" wurde übrigens erst kurzfristig in den Spielplan gehoben, als "Back-Up-Produktion", wie es Katharina Wagner ausdrückte. Gemeint ist damit, dass die Oper weitgehend ohne Chor auskommt und deshalb ersatzweise gegeben werden könnte, wenn sich coronabedingte Lücken im Spielplan auftun sollten. Regisseur Roland Schwab will sich bei seiner Inszenierung aufs Wesentliche beschränken, wie er BR Klassik schon im April verriet: "Es ist eines der wenigen Stücke, das absolut gehört eine perfekte Vollkommenheit besitzt. Die Transzendenz, das ist die Gefahr, wird durch die Regie-Operation gefährdet. Es ist die große Kunst der Dosierung, die hier angebracht ist."
Das klingt nach Minimalismus und somit nach dem genauen Gegenteil von dem, was Katharina Wagner 2015 aus dem Musikdrama machte: Sie bürstete "Tristan und Isolde" gehörig gegen den Strich,, machte aus dem altersmilden König Marke einen folternden Diktator und bekam dafür viel Kritik von Presse und Publikum. Überhaupt hat es die Festspielleiterin bei Teilen der Wagner-Fans schwer, steht sie doch für ambitioniertes Regietheater, das mal schlüssige, mal wirre Deutungen parat hält. Der letztjährige "Fliegende Holländer" war eher eine mittelmäßige Interpretation und überzeugte als "Rache-Drama" wenig (Regie Dmitri Tcherniakov).
"Keine Figur abschreiben"
Der diesjährige, aus Österreich stammende "Ring"-Regisseur Valentin Schwarz (33) hatte durch die coronabedingten Verschiebungen immerhin zwei Jahre mehr Zeit, an seiner Deutung des Vierteilers zu arbeiten. Er gab "Entwarnung", was ein von ihm selbst in Umlauf gebrachtes Zitat betrifft. Demnach will er Wagner so spannend machen wie eine "Netflix-Serie". Es gehe jedoch nicht um die Imitation einer TV-Show, so Schwarz, sondern damit seien mehr die heutigen Sehgewohnheiten gemeint gewesen. Er legt Wert darauf, keine Figur "abzuschreiben oder vorzuverurteilen", weil Wagner auch seinen Bösewichten ungeheure musikalische Empathie schenke.
"Publikumsschwund" durch Corona
Auch Kurzentschlossene haben in diesem Jahr übrigens die Chance, noch Karten zu bekommen: Es gibt wegen der Pandemie etliche Rückläufe, so die Festspiele, teils sollen sogar noch an der Abendkasse Tickets verfügbar sein, und dass, obwohl wegen wegen Renovierungs-Arbeiten rund 200 Plätze weniger als üblich zur Verfügung stehen: "Das hat mit Corona zu tun, teilweise mit Erkrankungen, so dass Leute absagen mussten", so Geschäftsführer Ulrich Jagels.
Das ist aber wohl nur die halbe Wahrheit: Katharina Wagner machte kein Hehl daraus, dass Corona generell zu einem "Publikumsschwund" geführt habe, viele Häuser merkten das am Rückgang der Abonnenten. Allerdings verkauft sich der vierteilige "Ring" schon länger nicht mehr so gut wie früher, weil es bei Kartenpreisen von 200 bis 400 Euro pro Vorstellung für einigermaßen attraktive Plätze dafür anscheinend immer weniger Publikum gibt. Mit Hotelkosten läppert sich der Aufenthalt pro Person dann locker auf über 2.000 Euro, da wird die Luft dünn. Die Reihen der Fans, die geduldig am Kartenschalter anstanden, haben sich längst gelichtet.
"Klassenfest der Reichen und Mächtigen"
Der "Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband (SDS) hat ja sogar eine Demo gegen Wagner angekündigt, wegen dessen notorischem Antisemitismus und der angeblich fehlenden "Entnazifizierung" der Festspiele nach dem Krieg. Außerdem sei das Ganze ein "Klassenfest der Reichen und Mächtigen im Land".
Die Begeisterung bei diesen (sehr linken) Leuten hält sich also in Grenzen, aber offenkundig gibt es auch in anderen Kreisen eine gewisse Zurückhaltung. Jedenfalls waren für Vorstellungen des "Fliegenden Holländer" und des "Ring" am Vorabend der Festspiele gleichermaßen noch "wenige Karten" im Online-Shop verfügbar. Nicht jeder ist so leidenschaftlicher Wagner-Fan wie Stephen Gould: "Ich glaube, wenn ich sterbe und mir die letzten Dinge durch den Kopf gehen, wird das ein bisschen Text von Tristan sein."
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