Benin-Bronzen im Museum Fünf Kontinente in München.
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Benin-Bronzen im Museum Fünf Kontinente in München.

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Koloniale Raubkunst: Was muss in Bayern zurückgegeben werden?

Außenministerin Baerbock hat Nigeria 20 Benin-Bronzen zurückgegeben, die sich bislang in fünf deutschen Museen befanden. Auch aus bayerischen Sammlungen sollen geraubte Kunstwerke rückgeführt werden. Doch das ist gar nicht so einfach.

Jedes Königshaus der Welt wäre wohl stolz auf so eine Ahnengalerie: Kunstfertig geschnitzt, aus einem Elefantenstoßzahn, zeigt sie die Vorfahren des Königs von Benin. Die königliche Ahnengalerie aus Elfenbein ist einer der Hingucker in der Afrikasammlung des Museums Fünf Kontinente in München.

Benin-Plastiken auch in Bayern

Doch das könnte sich bald ändern, sollte das Prunkstück zurück nach Afrika gehen. Denn Museumsdirektorin Uta Werlich ist sich ziemlich sicher, dass das Kunstwerk geraubt wurde. Im Jahr 1897 wüteten und raubten britische Soldaten während einer sogenannten "Strafexpedition" im damaligen Königreich Benin. Die Beute ging an britische Sammlungen, den Rest verscherbelte das Empire anschließend in ganz Europa und in die USA. Auch nach Deutschland gelangten viele dieser Raubkunst-Objekte.

Baerbock: "Rückgabe an Nigeria überfällig"

Außenministerin Annalena Baerbock hat bei ihrem Besuch in Nigeria an diesem Dienstag 20 Benin-Bronzen zurückgegeben, weitere sollen folgen. Die Kunstwerke waren bislang auf fünf deutsche Museen verteilt. "Es war falsch, diese Bronzen zu stehlen. Es war falsch, diese Bronzen zu behalten. Und es ist mehr als überfällig, dass diese Bronzen in ihre Heimat zurückkommen", sagte Baerbock in der nigerianischen Hauptstadt Abuja.

Große Raubkunst-Bestände in Bayerns Museen

Auch Bayern will jetzt einen Großteil geraubter Kulturgüter aus dem ehemaligen Königreich Benin zurückgeben. Dessen ehemaliges Staatsgebiet liegt vor allem im heutigen Nigeria. Hier wird schon an einem Museum gebaut. Mehr als 1.100 Kulturgüter aus Benin, überwiegend in Bronze gegossene Figuren, Gedenkköpfe und Tafeln, wurden mittlerweile in ganz Deutschland gezählt.

50 Benin-Objekte in München

Das Museum Fünf Kontinente in München weiß von rund 50 Objekten in seiner Sammlung. Laut Direktorin Uta Werlich ist die Herkunft längst nicht bei allen geklärt. Nur bei fünf dieser 50 Benin-Objekte sei klar, dass sie geraubt, also den Eigentümern mit unmittelbarer Gewalt entrissen wurden. Bei den jetzt an Nigeria zurückgegebenen 20 Exponaten war keines aus dem Münchner Museum dabei. Über das weitere Vorgehen zu den fraglichen Stücken des Museums konnte eine Sprecherin auf Anfrage aktuell keine Auskunft geben.

3.000 Südseeexponate in Nürnberg

Die Wissenslücken sind gewaltig – auch in Nürnberg. Die Naturhistorische Gesellschaft (NHG) besitzt etwa 3.000 Südsee-Exponate. Masken, Boote, Köpfe und Figuren. Die Bandbreite ist gewaltig. Nur etwa ein Zehntel sei auch in der Ausstellung des Naturhistorischen Museums zu sehen, sagt NHG Vorsitzende Gabriele Prasser. Doch die aktuelle Diskussion habe ihr die Augen geöffnet. "Es ist zum Teil herzzerreißend, was auf den Inseln der Südsee stattgefunden hat", sagt die ehrenamtliche Vereinsvorsitzende, mit Blick auf sogenannte "Strafexpeditionen" der deutschen Kolonialtruppen in Papua-Neuguinea.

Rückgabe komplizierter als gedacht

Doch bevor Prasser über die Rückgabe einzelner Sammlungsstücke reden will, müsse zunächst die genaue Herkunft jedes Objekts überprüft werden. "Ich will keine gestohlenen Sachen im Museum haben, das ist ganz klar. Aber solange wir nicht wissen, wem was gehört hat, können wir es auch nicht zurückgeben", sagt Prasser. "Wir können nicht einfach sagen, das geben wir jetzt zurück. Wo ist das nächste Schiff in die Südsee?" Die naturhistorische Gesellschaft in Nürnberg hat inzwischen Kontakt mit dem Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg aufgenommen. Dort werden Sammlungen und Museen beraten, wie sie mit Exponaten aus kolonialem Kontext umgehen können.

Aus Pietät: Schädel werden nicht mehr gezeigt

In Nürnberg werden ab nächstem Jahr externe Provenienzforscher die Sammlung begutachten. Es sind Ethnologen, die sowohl Kontakt in die Herkunftsländer der Exponate haben, als auch zu anderen Museen in Deutschland mit ähnlichen Sammlungsschwerpunkten. Bis hier Ergebnisse vorliegen, kann es noch einige Jahre dauern. Aber in einem Punkt haben die Nürnberger sehr bald auf die Diskussion über den Kolonialismus reagiert: Menschliche Überreste, also verzierte Schädel, mit denen die Papua ihrer Angehörigen gedachten, wurden aus der Ausstellung in Nürnberg entfernt – aus Pietätsgründen.

Problematische Herkunft oft jahrelang ignoriert

Wann und unter welchen Umständen Kulturgüter aus den ehemaligen Kolonien in Afrika und Asien nach Europa kamen, war jahrzehntelang kein Thema für die Völkerkunde-Sammlungen. Die Provenienz-Forschung, also die Frage nach dem Woher der jeweiligen Objekte, kommt erst langsam in Gang.

Im Museum Fünf Kontinente in München durchforstet Karin Guggeis seit Ende 2019 die Kamerun-Bestände des Museums. Eine durchaus bedeutende Sammlung. Schließlich war Kamerun von 1884 bis 1916 eine von vier deutschen Kolonien in Afrika.

Nicht alles ist "Raubkunst"

Der bayerische Offizier Max von Stetten (1860 in Nürnberg geboren, 1925 in München gestorben) war dort einige Jahre Kommandeur der sogenannten "Kaiserlichen Schutztruppe". Mehr als 200 Kunstgegenstände hat er in seiner Zeit als Kolonialherr gesammelt und nach München gebracht. Was er geraubt und was er davon gekauft hat, will Karin Guggeis Objekt für Objekt klären: "Damals gab es anscheinend schon so einen Markt für Europäer, wo sie halt bestimmte Dinge bestellt bzw. in Auftrag gegeben haben, um diese Dinge dann mit zurückzunehmen nach Europa." Viele Armreifen aus der Kamerun-Sammlung seien daher wohl keine Raubkunst, meint Karin Guggeis.

Detektivarbeit in den Archiven

Anders bei einer Reliquienfigur aus Ebenholz mit markanten Lippen und Goldringen, die prominent in einer Vitrine der Afrikasammlung des Münchner Museums zu bewundern ist. Im Eintrag in das Eingangsbuch des Museums wurde die Figur vor mehr als 120 Jahren eindeutig als Kriegsbeute deklariert: "Geschenk des Rittmeisters Max von Stetten aus dem Krieg von Aktona am Junongfluß in Jaunde".

Trotzdem ist die Rückgabe an Kamerun längst noch nicht ausgemacht. Das Museum Fünf Kontinente möchte Objekte aus seiner Sammlung eigentlich nur an Nachfahren der ursprünglichen Eigentümer zurückgeben. Die sind aber fast nicht zu ermitteln.

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Die Ahnengalerie des Königs von Benin, geschnitzt aus einem Elefantenstoßzahn, im Museum Fünf Kontinente in München.

Was muss alles zurückgegeben werden?

Die Kultusminister der Länder haben gemeinsam einen hohen Anspruch an den Umgang mit dem kolonialen Erbe formuliert. In einem Eckpunkte-Papier vom 13. März 2019 heißt es: "Wir wollen dabei die Voraussetzungen schaffen, für die Rückführungen von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten, deren Aneignung in rechtlich und/oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte."

Dieser etwas sperrige Satz birgt Brisanz. Denn demnach geht es nicht nur um Raubkunst im engeren Sinn, sondern um all jene Kulturgüter, deren Erwerb nicht sauber gelaufen ist. Etwa könnte der Kolonialherr bei Verkaufsverhandlungen indirekt mit Gewalt gedroht haben

Es wird leerer in den Museen

Doch Rückgaben stellen auch die jeweiligen Museen hierzulande vor große Herausforderungen. In München gesteht Direktorin Uta Werlich: "Allein der auf den Stoßzahn geschnitzte Ahnenaltar aus Benin wäre ein riesiger Verlust für das Museum Fünf Kontinente. Mit diesem Verlust müssten wir dann leben und uns überlegen, wie wir die Geschichte dieses Objektes vielleicht auf eine andere Art in der Ausstellung erzählen können."

Aufarbeitung als Chance für Museen

Gefährdet der Rückgabeprozess das Museum Fünf Kontinente als solches? Nein, meint die Direktorin. Sie sieht den Prozess vielmehr als Chance, die Inszenierung in der Ausstellung neu zu gestalten. Der Bedarf sei vorhanden.

Der Kolonialismus und all die Verwerfungen, die die europäische Gewaltherrschaft in den eroberten Gebieten auslösten, würden bislang in der Ausstellung kaum erzählt. Doch das Museum Fünf Kontinente hat sich viel vorgenommen. "Der De-Kolonialisierungsprozess hier im Museum hat in den letzten beiden Jahren viel Fahrt aufgenommen", sagt Uta Werlich. Ziel sei es, dass sich Menschen aller Länder respektvoll und auf Augenhöhe begegnen.

Die Rückgabe eines großen Teils der Benin-Bronzen aus Deutschland nach Nigeria ist ein erster symbolischer Schritt. Doch die Aufarbeitung des kolonialen Erbes hat damit gerade erst begonnen.

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