Es ist ein doppelter Hunger, einer nach Brot und nach Anerkennung, der die tragikomische Hauptperson in Knut Hamsuns Roman antreibt. Ein junger, erfolgloser Journalist und Autor irrlichtert durch Kristiania, das heutige Oslo. Knut Hamsun inszenierte die nackte Verzweiflung, den körperlichen und psychischen Niedergang seines Hungerkünstlers so, dass der Roman ein Meilenstein der Literatur wurde.
Felicitas Hoppe – ein großer "Hunger"-Fan
Zu den großen Bewunderinnen des Romans gehört Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe. Sie ist damit in bester Gesellschaft – schließlich haben selbst Thomas und Heinrich Mann und Franz Kafka ihre Begeisterung für "Hunger" bekannt – und sie hat das Nachwort zu der Neuübersetzung geschrieben. "Wir sollten dieses Buch als einen Ruf nach Hunger – ich sage jetzt mal pathetisch als einen Ruf nach Liebe und nach menschlicher Begegnung lesen. Wir haben es nämlich mit einem Protagonisten zu tun, der im Grunde genommen vollkommen einsam ist. Also hier geht es um Nahrung im doppelten Sinn, und der Hunger ist eben auch keine Metapher. Der Hunger ist vollständig real", sagt Hoppe im BR-Interview.
Das prekäre Dasein des Künstlers
"Hunger" eröffnet einen schonungslosen Blick auf das Dasein einer Künstlerexistenz und das ist für Felicitas Hoppe ein "Anknüpfungspunkt, der in die heutige Zeit und in das Künstler-Prekariat – wie wir heute so schön sagen – hineinreicht. Denn man sieht, wieviel Selbsterniedrigung, ja, wieviel Prostitution in diesem Beruf enthalten ist, das ständige sich Anbieten, das ständige sich Verkaufen, das Schwanken zwischen Triumph und Selbstverachtung. So lese ich es natürlich auch als Schriftstellerin, auf jeder dritten Seite denke ich: Dieses Gefühl, das kenne ich. Bei allem Ruhm, den Hamsun dann erlangt hat – inklusive Nobelpreis – bleibt auch in seinen biografischen Äußerungen immer ganz klar, dass er mit diesem Beruf gehadert hat und dass er ihn durchaus auch als Falle aufgefasst hat. Es gibt eigentlich keine Freiheit im freien Schriftstellerdasein."
Der Fall Knut Hamsun, des Hitler-Verehrers
Auch die Tatsache, dass Hamsun sich nie von seiner glühenden Verehrung Hitlers distanziert hat, kann Felicitas Hoppe nicht von ihrer Einschätzung Hamsuns als "genialem Autor" abbringen. Eher bestätigt es die Büchner-Preisträgerin in ihrer Annahme: "Schriftstellerinnen und Schriftsteller und die Politik, das ist eine heikle Sache", so Hoppe im BR-Interview. "Das Schreiben, das Erschaffen dieser Welt, die Darstellung dieses Protagonisten und seines Elends, bedeuten nicht gleichermaßen, dass wir es hier mit jemandem zu tun hätten, der über eine politisch analytische Schärfe verfügt. Schriftsteller sind auch blinde Hühner. Sie leben in ihren Welten, also sie sind sensibel auf der einen Seite und verstopft auf der anderen. Man kann selbst aus 'Hunger' Informationen oder Stimmungen ziehen, die einem erklären, wie diese von einer obskuren Sehnsucht getragene Parteinahme für die Nazis entsteht".
Bedrohungen, mit denen wir es heute auch zu tun haben
Bei aller Faszination für Hamsun sieht Hoppe gerade darin auch das Bedrohliche des Romans: Angesichts der Neuübersetzung habe sie "ambivalente Gefühle. Weil ich glaube, dass es einerseits ein Faszinosum an diesem sozialen Elend, auch am Künstlerelend gibt. Das hat Anziehungskraft. Andererseits aber, weil wir merken, in dem Buch ist von Bedrohungen die Rede, mit denen wir es heute auch zu tun haben. Deshalb sage ich an einer Stelle etwas fast scherzhaft: Wir warten immer noch auf den großen Hartz IV- Roman und hier ist er".
Knut Hamsun: "Hunger". Aus dem Norwegischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg, erscheint im Manesse-Verlag.
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