Projektion ist das Stichwort für diese Ausstellung im Münchner Utopia, in der ehemaligen Reithalle. Das Herzstück ist ein weitläufiger, rechteckiger Raum, dessen Boden und Wände mit Videoprojektionen bespielt werden.
In schneller Schnittfolge wechseln historische Fotos, gestellte Atelierszenen mit einem Gustav-Klimt-Double und vor allem die Bildwelten des populären Jugendstil-Künstlers – wobei die Gemälde oft kollagiert werden, sodass deren Motiveine inanderfließen, untermalt von einem satt-cineastischen Soundtrack. Eine Animation sonst statischer Werke, die auch das Publikum animieren will – zur Auseinandersetzung mit Kunst nämlich.
Anregung zur Auseinandersetzung mit Kunst
Mit der Projektion von "Der Kuss", Klimts wohl berühmtestem Werk, wollten sie nicht das eigentliche Kunstwerk ersetzen, beteuert Nick Hellenbroich einer der Produzenten der Austellung. "Ganz im Gegenteil", sagt Hellenbroich. "Wir wollen darauf eigentlich Lust machen und sagen: 'Hört mal zu! Es gibt Klimt, er hat ganz tolle Kunst gemacht. Wir machen darauf Freude und Lust daran, das Original dann vielleicht auch mal Museum zu erleben.'"
Immersion, also das Eintauchen in den Klimt-Kosmos, bedeutet hier zunächst mal, dass umgekehrt die Kunst in die Ausstellungs-Besucher hineinfährt – in Form bombastischer Klangwelten zum Beispiel. Musik, so laut und pulsierend, dass sie körperlich erfahrbar wird. Dazu wirbelt auf den Wänden das Laub, das sich von den Bäumen in Klimts Landschaftsbildern löst. Es flitzen computer-animierte Plattgoldblättchen über den Boden, dass einem ganz schwummrig werden kann. Kein Problem, findet einer der Besucher. Im Gegenteil: "Es ist viel beeindruckender, weil es viel größer ist. Und weil es sich auch noch bewegt, also mit Animationen, hat es nochmal einen anderen Charme für mich."
Vollbad der Sinneseindrücke
Trotzdem gut, dass das Publikum – eine bunte Altersmischung, die von Schülergrüppchen bis zu Rentnerpaaren reicht – auf Sitzsäcken oder -würfeln Platz nehmen kann, um nicht vor lauter Schwindel aus dem Gleichgewicht zu geraten. "Klimts Kuss" in München bietet ein Vollbad der Sinneseindrücke, bei dem einzelne Reize plötzlich auftauchen, um sogleich wie zerplatzende Seifenblasen in der Badewanne wieder zu verschwinden.
Aber – darauf legt Nick Hellenbroich vom Macher-Team wert – angereichert ist das Spektakel mit kunstgeschichtlichen Informationen. "Naja, früher hat man ein Taschenbuch von rororo mit dem Monografien eines Künstlers zur Hand genommen, um schnell irgendwie einen Einstieg zu finden. Mit unserem immersiven Ausstellungserlebnis sind wir da, vielleicht bei der rororo-Monographie 2.0."
Animierte, animierende Installation: "Der Kuss" in der Utopia Halle in München
Lokation für Selfies oder Einführung 2.0.?
Zum Gesamtpaket gehört dabei auch ein weiterer, schmaler, kathedralenartig hochaufschießender Erlebnisraum, der mit Spiegelwänden und Gold-Pailletten ausgekleidet ist. Hier herrscht erhöhter Selfie- und Handyfotoalarm. "Natürlich super, um das irgendwie irgendwo zu posten auf Social Media... eine tolle Foto-Location einfach", bekennt eine Besucherin im studentischen Alter freimütig. Und sie ergänzt: "Interaktive Museen, wo sich was bewegt oder wo man nicht einfach nur vor einem Bild steht und das Bild simpel anguckt, ist natürlich ein bisschen attraktiver für mich. Ansonsten nehme ich mir schon vor, die Museen mehr wahrzunehmen."
Manche Kunstliebhaber mögen angesichts dieser doch arg auf Oberflächenreize setzenden Präsentation durchaus nicht zu Unrecht die Nase rümpfen. Als Einführung 2.0 aber in das Werk eines Künstlers scheint diese immersive Multimedia-Installation durchaus zu funktionieren. Und das nicht nur bei einer jüngeren Generation, die den Einstieg in die Kunst überhaupt erstmal finden muss, sondern auch bei Museumsgängern mit Kenntnis der Originalgemälde. "Wir haben die Bilder in Wien schon gesehen. Das eine schließt das andere nicht aus. Das ist eine Vertiefung, fantastisch", sagt ein älteres Ehepaar.
Warum immer sehr prominente Kunst gewählt wird
Doch egal ob Ergänzung zu Vorerfahrung oder Einstiegshilfe in die Kunstwelt: Es stellt sich die Frage, wieso mit Gustav Klimt – oder bei vergleichbaren Vorgängerausstellungen Vincent van Gogh oder Frida Kahlo – stets Künstlerpersönlichkeiten gewählt werden, die ohnehin ein breites Publikum anziehen. Wäre es nicht denkbar, mit diesem Konzept auch mal Interesse für sperrigere Kunstwerke zu wecken? Gute Idee, stimmt "Klimts Kuss"-Co-Produzent Hellenbroich zu. Nur: Für einen kommerziellen Anbieter, bekennt er freimütig, wäre das Risiko zu hoch.
Man dürfe nicht vergessen, dass diese Ausstellungen natürlich auch einen großen Aufwand und finanziellen Aufwand bedeuten, sagt Hellenbroich. "Insofern braucht man auch eine gewisse kritische Masse, um diesen Aufwand auch wieder einzuspielen. Deswegen setzt man natürlich auch eher auf bekanntere Themen als als jetzt ganz unbekannter."
Aber für eine Kooperation mit einem staatlich geförderten Museem wäre Hellenbroich durchaus aufgeschlossen. Das wäre dann doch wirklich mal reizvoll: das Publikum mit immersiven Angeboten dazu zu verführen, in Kunstwelten einzutauchen, die es eigentlich scheut wie ein unbeheiztes Schwimmbad.
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