Etwa ein Dutzend Menschen stehen vor der Himmelfahrtskirche in München Sendling im Halbkreis um eine blau-gelbe Flagge herum. Darauf zu sehen ist der Umriss einer Taube. Sie beten für den Frieden. Doch wie dieser erreicht werden kann, da gehen die Meinungen auseinander.
"Man muss die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützen", sagt einer der Teilnehmer. "Gewaltlosigkeit bringt Frieden, nicht Waffen", sagt ein anderer. Frieden schaffen mit oder ohne Waffen? Eine Frage, die gerade auch den katholischen Sozialethiker Markus Vogt umtreibt. "Wir waren naiv, als wir geglaubt haben, Krieg sei ein Gespenst der Vergangenheit und nicht der Gegenwart", sagt der Theologe von der Ludwig-Maximilians-Universität.
Wehrhafte Demokratie
Die Bedrohungssituation wurde unterschätzt und deshalb bei den Militärausgaben gespart - diesen Fehler würde man jetzt erkennen, glaubt Vogt. "Ich glaube, manche Formulierungen halten heute nicht mehr Stand, zum Beispiel die Vorstellung, die Waffen ganz abzuschaffen" Markus Vogt spricht damit die Enzyklika "Fratelli tutti" von Papst Franziskus aus dem Jahr 2020 an.
Weicht hier also gerade ein christliches Ideal einem von Russland aufgezwungenem Pragmatismus? "Ich fürchte in der akuten Situation der starken Ideologisierung kann man dem nicht anders als mit einer wehrhaften Demokratie und einer Verteidigung der freiheitlichen Ordnung entgegentreten", sagt Vogt.
Das haben auch Bischöfinnen und Bischöfe beider Kirchen zuletzt deutlich gemacht. So betonte die Deutsche Bischofskonferenz das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und legitimierte damit auch Waffenlieferungen aus Deutschland in ein Kriegsgebiet.
Kirchen für Waffenlieferungen
Und in einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich auch die Spitzen der evangelischen Landeskirchen vergangene Woche einstimmig für Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Eine Erklärung, die der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm ebenfalls unterzeichnet hat, denn es sei auch ein Gebot der Nächstenliebe, Menschen wirksam zu schützen.
"Da sind auch Flugabwehrraketen ein wirksames Mittel" sagt Bedford-Strohm. "Mir geht das Bild einer hochschwangeren Frau auf der Trage in der Geburtsklinik in Mariupol nicht aus dem Kopf – würde sie noch leben, wenn eine Flugabwehrrakete diese Bombe abgefangen hätte?" Die Frage, welche Art zu Handeln die moralisch richtige ist, führe in ein Dilemma.
Pazifismus statt Pragmatismus
Bilder, die auch Margot Käßmann, ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, im Kopf hat. Sie ist eine der prominentesten pazifistischen Stimmen im Land und wehrt sich gegen den neuen Pragmatismus. Und sie verteidigt ihre Position, dass Waffenlieferungen in Kriegsgebiete auch jetzt noch falsch sind.
"Ich denke nicht, dass dieser Krieg durch Waffen beendet wird", sagt Käßmann, "sondern nur durch Sanktionen, Verhandlungen und Diplomatie." Gemeinsam mit hunderten anderen Prominenten hat sie sich in einem offenen Appell auch gegen das Aufrüstungspaket der Bundesregierung mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausgesprochen.
Geld für Frieden
Käßmann fordert ein langfristiges Nachdenken. "Wir müssen uns fragen, welche Signale setzen wir?" Noch nie sei so viel Geld in den Friedensaufbau oder den zivilen Friedensdienst investiert worden, noch in den Aufbau von Bildung und Landwirtschaft in den Ländern des globalen Südens. "100 Milliarden für die Bewältigung der Klima-Krise waren nie bei irgendjemandem im Blick!"
Der Krieg in der Ukraine und die Frage nach dem Weg zum Frieden sind allgegenwärtig. Und nicht nur beim Friedensgebet vor der evangelischen Himmelfahrtskirche in München fühlen sich Menschen zurückversetzt in eine andere Zeit, die schon überwunden schien. "Frieden schaffen ohne Waffen, dafür haben wir in meiner Jugend demonstriert", erinnert sich eine der Teilnehmerinnen. "Das ist ein Déjà-vu für mich."
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!