Fast 70 Jahre lang ist in Trostberg eine Wiese als Baugrund für eine neue katholische Kirche freigehalten worden. Jetzt sollen dort bezahlbare Wohnungen entstehen.
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Fast 70 Jahre lang ist in Trostberg eine Wiese als Baugrund für eine neue katholische Kirche freigehalten worden.

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Wohnungen statt Gotteshaus: Eine Kirche verzichtet auf ihr Recht

Wohnungen statt Gotteshaus: Eine Kirche verzichtet auf ihr Recht

Jahrzehntelang ist in Trostberg eine Wiese als Baugrund für eine neue katholische Kirche freigehalten worden. Jetzt sollen dort bezahlbare Wohnungen entstehen. Pfarrer Florian Schomers sagt, das habe auch etwas mit dem Auftrag der Kirche zu tun.

Über dieses Thema berichtet: STATIONEN am .

Die Marklwiese mitten in Trostberg im Landkreis Traunstein ist über 5.000 Quadratmeter groß und im Moment noch ein Bolzplatz. Doch schon bald sollen hier neue Mehrfamilien- und Reihenhäuser entstehen. Abzusehen war das lange nicht, denn die Wiese war laut dem Bebauungsplan von 1965 eigentlich für eine neue katholische Kirche vorgesehen. Damals herrschte noch Aufbruchstimmung: Die Kirchen waren voll, dank der Kirchensteuer sprudelten die Einnahmen.

Die Mitgliederzahlen sinken – und damit auch die Einnahmen

Heute geht der Trend in die entgegengesetzte Richtung: Eine neue Kirche wird nicht mehr gebraucht, schließlich werden die Gläubigen immer weniger und damit sinken langfristig auch die Kirchensteuereinnahmen. "Da sind wir proaktiv auf die Stadt zugegangen und haben gesagt: 'Tun wir doch diese Nutzung weg, eine neue Kirche zu errichten'", sagt Pfarrer Florian Schomers, der Leiter des Pfarrverbands Trostberg. "Schauen wir doch lieber, hier günstigen, leistbaren Wohnraum zu schaffen."

Der Trostberger Stadtrat hat den Bebauungsplan inzwischen geändert. Nun werden von einem Bauträger konkrete Vorschläge erarbeitet, wie das Grundstück bebaut werden könnte: Wie viele Wohnungen entstehen könnten, wie viele Parkplätze benötigt würden, wie viele Grünflächen möglich sind.

Soziale Verantwortung als Aufgabe der Kirche

Eine Kirche sollte auch soziale Verantwortung übernehmen, meint Pfarrer Florian Schomers. "Es gibt so viele Familien und Senioren, für die wir einfach Sorge zu tragen haben, dass sie sich Wohnraum leisten können." Als Pfarrer ist er schließlich nicht nur Seelsorger, sondern auch Verwalter von kirchlichen Gebäuden, Grundstücken und Liegenschaften. "Es ist mir ein großes Anliegen, dass eine kirchliche Liegenschaft nicht nur liegt, sondern auch etwas schafft", sagt er. "Aber wir haben viele Liegenschaften, die wirklich nur liegen."

Bei der Marklwiese soll das in Zukunft nicht mehr so sein. Damit die neu geschaffenen Wohnungen bezahlbar bleiben, war es Pfarrer Schomers wichtig, dass hier nicht ein Investor teure Luxus-Apartments errichtet, sondern dass das Grundstück an einen Bauträger geht, der sozialverträglich und anwohnerfreundlich baut. Um das zu unterstützen, bekommt dieser das Grundstück als Erbpacht, muss es also nicht kaufen.

Dadurch sinken die Kosten für den Neubau von Wohnungen, Mieten werden dadurch in der Regel günstiger. Dass das Grundstück als Erbpacht vergeben wird, liegt daran, dass die Marklwiese zum Vermögen der örtlichen Pfarrkirchenstiftung gehört. Und nach deutschem Stiftungsrecht darf das Vermögen einer Stiftung – die ja einen sozialen und gemeinnützigen Zweck verfolgt – nicht geschmälert werden. Deshalb wäre ein Verkauf der Marklwiese rechtlich sehr schwierig gewesen.

Das Kirchengebäude an sich sei zweitrangig, sagt der Pfarrer

Vorbild für Pfarrer Florian Schomer ist Julius Döpfner, der Bischof von Würzburg und später Kardinal und Erzbischof von München und Freising war. Döpfner gründete nach dem Zweiten Weltkrieg ein katholisches Wohnungswerk zum Wiederaufbau von Würzburg. Sein Motto damals "Wohnbau ist Dombau". Die Kathedrale musste warten.

Florian Schomers interpretiert den berühmten Satz Döpfners so: "Also da, wo die Menschen sind, da ist auch Kirche. Das Kirchengebäude an sich ist eigentlich erst zweitrangig. So schön unsere Kirchen natürlich sind und so wichtig das ist, sie zu erhalten."

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Pfarrer Florian Schomers vor dem alten Pfarrheim

Zukünftige Nutzung vieler kirchlicher Gebäude noch offen

Kirchliche Gebäude einem sinnvollen und sozialen Zweck zuführen: Dass das nicht immer funktioniert, musste auch Pfarrer Schomers schon erleben. Die Pfarrverwaltung in Trostberg wird in einigen Jahren vom Pfarrzentrum in das dann neu renovierte Pfarrer-Huber-Haus umziehen. Dann stünde das Pfarrzentrum leer. Auf dem Grundstück hätte sich Pfarrer Schomers beispielsweise ein Ärztehaus gut vorstellen können, mit einer Sozialwäscherei und anderen Angeboten. Doch Schomers hat das Projekt nach einiger Zeit wieder verworfen. Da das Pfarrzentrum, anders als die Marklwiese, nicht der Pfarrkirchenstiftung gehört, sondern der Pfarrpfründenstiftung, haben Pfarrei und Ortspfarrer da eigentlich keine großen Handlungsmöglichkeiten. Letzten Endes entscheidet über das Pfarrzentrum das Ordinariat des Erzbistums München und Freising.

Dort sei man laut Schomers seinen Plänen gar nicht mal abgeneigt gewesen, trotzdem hätten die Realisierung des Projektes, die Einbindung aller Stellen, die Bürokratie und die Anträge so viel Zeit in Anspruch genommen, dass das für den Trostberger Pfarrer neben seinen Aufgaben als Seelsorger nicht zu schaffen gewesen wäre. Gänzlich begraben hat Florian Schomers seine Ideen aber noch nicht: Wenn der Umzug der Verwaltung ins Pfarrer-Huber-Haus in ein paar Jahren tatsächlich stattgefunden hat und die Frage aktuell wird, was aus dem alten Pfarrzentrum wird, könnte er sich durchaus vorstellen, seine Pläne noch mal aufzugreifen.

Nicht nur in Trostberg, auch im Erzbistum München und Freising steht das Thema Immobiliennutzung ganz oben auf der Agenda. Davon könnten langfristig auch Kirchengebäude direkt betroffen sein. "Ob es so drastisch wird wie in England, dass aus einer Kirche eine Turnhalle, eine Disco oder eine Bücherei wird, werden wir sehen", sagt er. "Aber wir müssen uns mit der Vorstellung anfreunden, dass auch sakrale Gebäude anders genutzt werden."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Rund um das Thema "Was ist systemrelevant?" geht es in der Sendung STATIONEN, am Mittwoch, 20. September 2023 um 19 Uhr im BR Fernsehen und in der ARD Mediathek.

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