Der Antisemitismus-Eklat überschattet die Kunstausstellung documenta weiterhin. Ein Podium in Kassel sollte nun die Aufarbeitung einläuten – allerdings nahm das indonesische Kuratorenkollektiv ruangrupa nicht aktiv an der Diskussion teil. Unterdessen zeichnet sich ein Streit zwischen der Stadt Kassel, dem Land Hessen und dem Bund ab.
Offener Streit entbrannt - Kassel droht Berlin mit Alleingang
Der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) drohte in einem offenen Brief mit einem Alleingang Kassels, sollten Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Hessens Kunstministerin Angela Dorn (beide Grüne) an ihren Reformforderungen festhalten.
Nach dem Skandal rund um das Banner "People's Justice" hatte Roth mehr Einfluss der Regierung gefordert – andernfalls wolle sie der documenta den Geldhahn zudrehen. Sie nannte es einen "schweren Fehler", dass sich der Bund 2018 aus dem Aufsichtsrat der Kunstschau zurückzog, diese aber weiterhin mit 3,5 Millionen Euro mitfinanzierte. Das solle sich wieder ändern.
Kasseler OB über Roths Pläne: "Angriff auf die documenta"
Diese Forderung nach mehr Einfluss lehnt Kassels OB Geselle entschieden ab. Er sieht darin einen "Ausdruck kaum zu überbietender Arroganz" Berlins gegenüber seiner offenbar als "provinziell" empfundenen Stadt. Sollte der Bund diese Haltung nicht ändern, wolle er die documenta künftig alleine stemmen, heißt es in dem öffentlichen Brief:
"Die in dem 5-Punkte‐Plan offen ausgesprochene Drohung: Ohne mehr Einfluss kein Geld! muss uns nicht schrecken. Die documenta könnte im Zweifel auch ohne die bescheidenen Bundesmittel finanziert werden. Kassel ist darauf nicht angewiesen." – Kassels Oberbürgermeister Geselle
Rückendeckung bekommt OB Geselle von seinen drei Amtsvorgängern und SPD-Kollegen Hans Eichel, Wolfram Bremeier und Bertram Hilgen: In der gemeinsam unterschriebenen Erklärung bezeichnen sie Roths Pläne als "Angriff auf die documenta".
Roth hatte bereits im Januar Experten-Beirat vorgeschlagen
Wie kürzlich bekannt wurde, hatte Roth bereits im Januar einen "internationalen Beirat" aus Expertinnen und Experten vorgeschlagen, um die damals bereits bekannten Antisemitismus-Vorwürfe gegen das Kuratorenkollektiv ruangrupa zu überprüfen. Geselle hatte diese Initiative aber offenbar verhindert, wie die hessische Kunstministerin Dorn nun bestätigte.
Die Kulturstaatsministerin hält in der Debatte an ihren Reformforderungen fest. Ziel müsse sein, dass sich "ein solches Desaster" nicht wiederhole. Sie hoffe nun auf eine Aufklärung und einen konstruktiven Dialog mit der Stadt Kassel, so Roth.
Die Podiumsdiskussion "Antisemitismus in der Kunst": Sie soll ein erster Schritt der Aufarbeitung bei der documenta fifteen sein
Podiums-Diskussion zur Aufarbeitung – aber ohne ruangrupa
Die Aufarbeitung des Eklats sollte am Mittwochabend nun beginnen – mit einem Podium in Kassel zum Thema "Antisemitismus in der Kunst", veranstaltet von der Bildungsstätte Anne Frank und der documenta-Gesellschaft.
Das indonesische Kuratoren-Kollektiv ruangrupa nahm jedoch nicht aktiv an der Diskussion teil. Ein Sprecher des Kollektivs, Ade Darmawan, sagte in einer Wortmeldung zu Beginn der Veranstaltung: "Wir sind hier, um zu lernen und um zuzuhören". Er hoffe, die Veranstaltung sei ein Ausgangspunkt für Diskussionen.
Zentralrat der Juden bezweifelt Sinn des Dialogs mit documenta
Der Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, Doron Kiesel, bezweifelte allerdings die Sinnhaftigkeit eines weiteren Dialogs. Der Vorfall um das Bild der Künstlergruppe Taring Padi mit seinen antisemitischen Motiven sei folgenlos geblieben, sagte er. Er sprach von einer Erschütterung des Vertrauens in die Fähigkeit der Gesellschaft und "bestimmter Kreise auch der Verantwortlichen", mit der eigenen Geschichte umzugehen. Kiesel erklärte: "Ein Dialog führt im Moment zu nichts."
Anders sah dies Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank. Zwar beklagte er, dass es seit Januar nicht möglich gewesen sei, in einen Dialog zu kommen – was er auch als sein Versäumnis sehe. Nun müsse aber überlegt werden, wie man einen Modus finden könne, über die Sache zu reden.
Mendel soll nun dabei helfen, weitere Kunstwerke auf der documenta hinsichtlich judenfeindlicher Inhalte zu überprüfen. Laut der hessischen Kunstministerin Dorn gibt es bereits Hinweise auf weitere antisemitische Werke bei der Kunstschau.
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