Es hat vielversprechend begonnen. 2004 erscheint das Album "The College Dropout" von Kanye West, Entwurf eines synthetischen Popuniversums, das Gangsta-Rap als wichtigster Hiphop-Spielart ablöst. Der Rap-Künstler aus Chicago, Sohn eines Mitglieds der radikalen "Black Panther"-Bewegung, setzt auf gesungene Refrains und rückt Themen wie Liebe und Gospel in den Mittelpunkt. Das Album, ein Wendepunkt des modernen Hiphop, verkauft sich über vier Millionen Mal. Kanye West wird zum Hoffnungsträger der Popmusik im neuen Jahrtausend.
2005, nur ein Jahr später wirft Kanye West dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush Rassismus vor. Wirbelsturm Katrina hatte New Orleans verwüstet, mit katastrophalen Folgen für die schwarze Bevölkerung. Bush tue zu wenig für die notleidenden Schwarzen, findet West. Später entschuldigt er sich zwar, aber da hat er sich bereits zum Wortführer aufgeschwungen, eine Rolle, die er nun gerne spielt mit messianischem Eifer und überzogenem Größenwahn.
Bei der Grammy-Verleihung 2009 stürzt Kanye West auf die Bühne und moniert, dass Beyoncé den Preis für das beste Video erhalten sollte, nicht Taylor Swift. Präsident Barack Obama kritisiert das rüpelhafte Verhalten daraufhin scharf und nennt West einen Idioten.
Musik von Kanye West: Nervöses Meisterwerk aus Schnipseln der digitalen Welt
West verkriecht sich im Studio, schnipselt an Sounds und Beats aus dem grenzenlosen Schallarchiv der Popkultur. Sein Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" von 2010 gilt als nervöses Meisterwerk, das aus unendlich vielen Schnipseln der digitalen Welt zusammengesetzt ist. Sogar Ex-Beatle Paul McCartney will jetzt mit dem schwierigen Zeitgenossen zusammenarbeiten, der Ritterschlag, wenn man so will, für den Rapper, der nach seiner Heirat mit Instagram-Heldin Kim Kardashian zur Celebrity-Ikone wird, ein Superstar, der den ungebremsten Narzissmus, die Selbstverliebtheit des Jahrzehnts auf den Punkt bringt.
Es kommt, wie es kommen muss, glaubt man US-amerikanischen Karrierestrategien. Popstars mutieren zu Unternehmern, die ihren Ruhm mit Produktlinien für Fans vermarkten. Adidas aus Herzogenaurach ist so eine Marke, die sich dazu eignet. Die Turnschuhe der Firma wurden in den 80er-Jahren von Hiphop-Stars wie Run DMC und Rockmusikern in Songs gefeiert. Dass dieses Unternehmen Wurzeln in der Nazizeit hat, wissen die meisten Amerikaner nicht. Sie finden die Marke mit den drei Streifen cool. 2016 beginnen die Herzogenauracher mit dem problematischen Hiphop-Mogul eine höchst lukrative Zusammenarbeit.
Wests Auftritte in den TV-Talkshows rechtslastiger Sender
2018 wurde öffentlich, was man ahnte: Kanye West leidet unter einer bipolaren Störung, was diesen nicht davon abhält, weiter abstruse Privatphilosophien zu äußern. So interpretiert West Sklaverei als selbstgewähltes Schicksal der Afroamerikaner. Außerdem outet er sich als Fan vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und von dessen "Make America Great Again"-Slogan. Er will sogar selbst Präsident werden. 2021 reichte dann Kim Kardashian die Scheidung ein.
Kanye Wests jüngste Auftritte in den TV-Talkshows rechtslastiger Sender zeigen einen gebrochenen, wütenden Popstar. Adidas hat sich nach langem Zögern nun von dem psychisch angeschlagenen Musiker getrennt. Auch wenn das einen Milliardenverlust zur Folge hat. Die Marke aus Herzogenaurach kann dadurch nur gewinnen, wie viele Kommentatoren sagen.
Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!