Philosoph Nida-Rümelin
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Philosoph Julian Nida-Rümelin

    Nida-Rümelin: Corona hat zu "geistigem Bürgerkrieg" geführt

    In der Corona-Pandemie hat sich das Meinungsklima in Deutschland verschlechtert, sagt der Philosoph Nida-Rümelin. Der Frühling und weniger Maßnahmen würden zwar aktuell zu einer besseren Stimmung beitragen, diese könnte aber schnell wieder kippen.

    Der Philosoph und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Julian Nida-Rümelin, hat sich in der Corona-Pandemie wiederholt mahnend zu Wort gemeldet. So auch jetzt: Er sieht eine immer größere Tendenz zur Spaltung in der Gesellschaft. Diese sei durch den gesellschaftlichen Kommunikationsstil in der Corona-Pandemie noch verstärkt worden. Es gebe immer seltener die Bereitschaft, genaue Differenzierungen vorzunehmen oder Zwischentöne zu sehen. Dabei sei genau das in einer demokratischen Gesellschaft wichtig, findet er.

    "Spaltung" als neuer kommunikativer Stil

    Mit "Spaltung" meint er nicht nur den Unterschied zwischen Maskenträgern und Nicht-Trägern oder zwischen Geimpften und Ungeimpften. Viel schlimmer sei die Spaltung, die durch den gesellschaftlichen Kommunikationsstil herbeigeführt werde, so Nida-Rümelin im BR-Interview . Ungeimpfte seien in der Kommunikation nicht einfach Ungeimpfte, sondern gleich "Impfgegner" oder gar "Querdenker".

    Die Bereitschaft zur Differenzierung nimmt ab, konstatiert der Philosoph, und nennt noch ein weiteres Beispiel: Der deutsche Ethikrat hat in der vergangenen Woche eine Stellungnahme herausgegeben, in der die Pandemie-Maßnahmen zum Teil kritisch eingeordnet wurden. Obwohl der Ethikrat die staatlichen Maßnahmen in den vergangenen zwei Jahren fast immer befürwortete hatte, kommt er in der aktuellen Stellungnahme zu der Ansicht, dass manche Maßnahmen unzureichend begründet oder von der Risiko-Statistik nicht ausreichend gedeckt waren. Eben diese Stellungnahme sei später in einem Zeitungsartikel eines serösen Mediums als "Steilvorlage für Verschwörungstheoretiker" eingeordnet worden. "Meinungen werden in den Medien zu häufig radikalisiert", kritisiert Nida-Rümelin. Es werde übersehen, dass es nicht nur radikale Standpunkte gibt: nicht nur staatstreue Bürger und Querdenker, sondern auch ein breites, sehr differenziertes Mittelfeld.

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    "Geistiger Bürgerkrieg" in sozialen Medien

    Das spiegelt sich seiner Meinung nach nicht nur in den so genannten Leitmedien, sondern auch in den sozialen Medien wider, wo der Umgang mit abweichenden Meinungen und Verhaltensweisen harscher und rücksichtsloser geworden sei - nicht nur in Bezug auf Corona, sondern auch bei anderen Themen.

    Nida-Rümelin hält die Alltagskultur des Umgangs miteinander ganz wesentlich für die demokratische Entwicklung und fordert auf allen Ebenen mehr Begegnungen auf Augenhöhe. "Menschen müssen als mündig angesehen werden und man muss ihnen zutrauen, auch mit differenzierten Informationen umzugehen." Ausgrenzung und Radikalisierung seien dagegen immer demokratiefeindlich und führten zu einem "geistigen Bürgerkrieg".

    Leichte Entspannung durch gelockerte Maßnahmen

    Dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes jetzt freiwillig ist, darin sieht Nida-Rümelin kein gesteigertes Konfliktpotenzial. Zwar träfen jetzt einerseits verschiedene Haltungen, zum Beispiel im Supermarkt, direkt aufeinander, andererseits schafften das wärmere Wetter und die Freiwilligkeit der Maßnahmen für viele Menschen auch eine psychologische Erleichterung.

    Nida-Rümelin befürchtet allerdings, dass sich die negative Stimmung im Herbst wieder zuspitzt, wenn aufgrund einer neuen Variante oder neuer Maßnahmen das Konfliktpotenzial zunimmt. So würden Geimpfte dann vermutlich nicht einsehen, dass sie sich erneut einschränken müssten, weil vulnerable Personengruppen nicht bereit seien, sich impfen zu lassen. Dennoch ist Nida-Rümelin nicht für eine allgemeine Impfpflicht. Im Dezember hatte er für eine Teil-Impfpflicht für ältere und vulnerable Personengruppen plädiert, die aber genau geprüft werden müsse.

    Europäische Perspektiven zum Russland-Ukraine-Krieg

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