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Julia Schochs neuer Roman "Schöne Seelen und Komplizen"

Die 1974 in Bad Saarow geborene Autorin debütierte 2001 mit dem vielfach ausgezeichneten Erzählungsband "Der Körper des Salamanders" , es folgten die Romane "Mit der Geschwindigkeit des Sommers" und "Selbstporträt mit Bonaparte". Von Knut Cordsen

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN Kultur am .

Bisweilen ist es bei Büchern so: Man schlägt sie auf, denkt: Ja, interessant. Liest weiter, erst zögerlich, dann zunehmend gebannt, ist ab der Hälfte vollkommen gefangen genommen und am Ende überzeugt: ein großes, ein ergreifendes Werk. Ergeht einem wahrlich nicht häufig so bei deutscher Gegenwartsliteratur, aber im Falle von Julia Schochs Roman „Schöne Seelen und Komplizen“ kann man gar nicht anders als zu jubilieren. Diese auf gerade mal dreihundert Seiten ausgebreitete Geschichte ist meisterhaft erzählt und komponiert. Sie spielt zur einen Hälfte in den Jahren 1989-1992, zur anderen in unserer Gegenwart und wird längst nicht nur solche Menschen ansprechen, die gerade ein Klassentreffen erlebt haben. 25 Jahre ist es her, dass Vivien, Ruppert, Alexander, Falk, Stefanie, Tomas und wie sie alle heißen Abi gemacht haben, an einem Elitegymnasium im Osten Deutschlands, der Käthe-Kollwitz-Oberschule. Einige von ihnen spielten damals in der Theatergruppe zusammen. Zu Lydias Leidwesen haben sie nie Jean Paul Sartres Stück „Die Fliegen“ aufgeführt, in dem es heißt: „Geh , schöne Seele. Ich kann nichts anfangen mit schönen Seelen: einen Komplizen wollte ich.“ Ein Satz, der einen Jugendlichen elektrisieren kann. Komplizen sind diejenigen, die da in der Zeit kurz nach dem Mauerfall die letzten Schuljahre gemeinsam verbringen, auf eine seltsame Art geblieben. Wiewohl oft gar kein Kontakt mehr zwischen den ehemaligen Mitschülern besteht, gibt es lose, nie ganz abgerissene Verbindungsfäden zwischen ihnen.


Klassentreffen nach 25 Jahren


Das ist die Situation, in der sich einige von ihnen - es ist nur ein versprengter Haufen, der sich in der Pizzeria trifft – wiedersehen. Die eine hat einen Selbstmordversuch hinter sich, der andere wird gerade Vater und fragt sich, wie sehr das sein bisheriges Vagabundenleben verändern wird. Wieder eine andere hadert mit ihrer Ehe und lebt mehr in der Erinnerung an ein früheres Glück als im Hier und Heute: „Man hat eine Vergangenheit und macht daraus ein Museum, eins, in dem man ratlos durch die Säle schleicht.“ Das ist so ein Satz mit Widerhaken. Von der Sorte fallen einige in Julia Schochs Roman, der aus lauter inneren Monologen montiert ist. Wir hören all diese Leute, die wir als Schüler mit ihrer je eigenen Sichtweise auf die Welt, auf ihre Freunde und die friedliche Revolution 1989 kennen gelernt haben, 25 Jahre später erneut reden. Erfahrungssatt und –matt, geschieden manche von ihnen, aber nicht alle. Die, die Lehrerin geworden ist z.B., rühmt sich ihres „Paargeistes“, der sie mit ihrem Mann zusammenschweißt. Die, die als Pharmavertreterin durch die Lande reist, bandelt eher verzweifelt mit ihresgleichen auf Regionaltagungen an. Es sind traurige One-Night-Stands. Und Bodo, der mit der Gabe der Synästhesie, liegt bereits im Sterben. Irgendwo zu Beginn dieses Romans steht der Satz: „Merkwürdig, dass Stimmen länger leben als die Menschen selbst.“ Die Stimmen, die die 43-jährige Julia Schoch ihren Figuren verleiht, überdauern die Lektüre. Sie leben fort in unseren Köpfen und beschäftigen uns.

 

Klug und anrührend


Ab und zu blinkt, wenn es um die DDR geht, ein heute vergessenes Wort wie „Rüste“ für „Rüstzeit“, die christliche Freizeit, auf, und man steht so verwundert davor wie Walter Kempowski 1991 im westdeutschen Münsterland, als er erstmals erstaunt das Wort „Kenne“ vernahm. Abseits von solchem „Begriffsgemüse“, um gleich noch eine Wortschöpfung von Julia Schoch zu nehmen, ist „Schöne Seelen und Komplizen“ ein sehr kluger, anrührender Roman. Leise, unauffällig und ohne viel Werbetrara kommt dieses Buch, das morgen im Münchner Piper-Verlag für 20 Euro erscheint, daher. Man sollte es ja nicht übersehen. 

Julia Schoch: "Schöne Seelen und Komplizen". Roman. Piper. 314 Seiten. 20 Euro