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Jakob Heins Roman "Die Orient-Mission des Leutnant Stern"

Der Berliner Jakob Hein ist bekannt geworden mit Lesebühnen-Auftritten und Büchern wie "Mein erstes T-Shirt". Nun hat der Autor, der gleichzeitig praktizierender Kinder- und Jugendpsychiater ist, einen historischen Roman vorgelegt. Von Knut Cordsen

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN Kultur am .

Warum lesen wir historische Romane? Im Idealfall, um unsere Gegenwart besser verstehen zu können. Einen solchen kleinen, sehr feinen historischen Roman hat der 46-jährige Jakob Hein geschrieben. Und zwar über eine wahre Begebenheit, ein Schelmen- und Husarenstück aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Die tollkühne und aberwitzige Aktion, die in „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“ im Mittelpunkt steht, fand vor gut hundert Jahren auf Geheiß des letzten deutschen Kaisers statt. Wilhelm II. war ein Freund der Orientalen, er nannte sich einen ewigen und treuen Bündnispartner aller Muselmanen. Diese Nähe verleitete ihn bzw. das ihm dienende Auswärtige Amt dazu, einen Plan auszuhecken. Der sollte alle Mohammedaner der Welt, rund 300 Millionen Muslime, von Konstantinopel bis Bombai zu einem gemeinsamen Aufstand unter türkischer Führung bewegen. Man kann statt Aufstand auch „Dschihad“ sagen.

Ein deutscher Dschihad

Es sollte, eingefädelt von den Deutschen, ein Dschihad, ein Heiliger Krieg in der islamischen Welt ausbrechen in den Jahren 1914ff.

Jakob Hein: "Der Grund, weshalb mich dieses Thema so stark interessiert, ist ja, dass wir momentan unser Verhältnis zum Islam gewissermaßen untersuchen, und da wird wahnsinnig viel ausgeblendet. Also Kaiser Wilhelm z. B., der ja heute noch verehrt wird besonders von Konservativen, war ein unglaublicher Fan des Islam, darüber wird wenig gesprochen, ebenso wie übrigens die Nazis da sehr gute Verbindungen hatten. Kaiser Wilhelm II. ließ sogar mitteilen, dass er schon längst zum Islam konvertiert sei, dies allerdings bisher aus Rücksichtnahme auf seine Mutter nicht bekannt geben könne. Dies ließ er in der muslimischen Welt verbreiten. Und wenn man das weiß, und auch die traditionell engen Verbindungen des Osmanischen Reichs zu Preußen, wirft das noch mal ein anderes historisches Licht darauf. Ich sage immer, man kann natürlich die Frage stellen, ob der Islam zu Deutschland gehört, - ich weiß gar nicht, was die Frage bedeutet, aber man kann sie stellen -, bloß es ist praktisch nicht fraglich, ob Deutschland zum Islam gehört. Diese Frage muss man klar mit ja beantworten, Deutschland hat sehr, sehr viel in der islamischen Welt gewirkt und auch bewirkt, und das ist historisch nicht mehr anzweifelbar."

Beauftragt damit, vierzehn muslimische Kriegsgefangene in geheimer Mission von Berlin nach Konstantinopel zu führen, war ein jüdischer Journalist und Leutnant: Edgar Stern.

"Deutschland gehört zum Islam"

Die Truppe, die er schließlich bis auf den Taksimplatz in Istanbul führte, wurde zusammengestellt im muslimischen Kriegsgefangenenlager Wünsdorf bei Berlin: im sogenannten „Halbmondlager“, das heutzutage übrigens ein Flüchtlingslager ist, und in dem damals eine Holzmoschee stand. Die erste geweihte Moschee in Deutschland überhaupt, gebaut von einer jüdischen Tischlerei.

Jakob Hein: „Die erste als Gotteshaus gebaute Moschee ist 1915 in Wünsdorf eingeweiht worden, weil man die muslimischen Kriegsgefangenen und insbesondere die, die sich den Dschihad auf die Fahnen schreiben wollten, besonders gut behandeln wollte. Die sogenannten Gefangenen durften dort schächten, also sie durften dort rituell Tiere schlachten, sie bekamen dort Kaffee und Tabak, und zu guter Letzt quasi noch eine Moschee gebaut, damit sie dort ihrem Glauben folgen konnten. Das Deutsche Reich wollte die Muslime davon überzeugen, dass es fest auf ihrer Seite steht und wollte ein ebenso enges Bündnis in die andere Richtung erzeugen oder herbeiführen.“

Jakob Heins kluger Roman „Die Orient-Mission des Leutnant Stern“ ist bei Galiani für 18 Euro erschienen (244 Seiten). Wer ihn liest, sieht unsere Gegenwart mit anderen Augen.