Es war ein herber Verlust: Am 13. August 1965 schlug ein Besucher des Studiensaals der Staatlichen Graphischen Sammlung in München Alarm. Statt einer Zeichnung des italienischen Künstlers Giovanni Battista Salvi, genannt "Il Sassoferrato" (1609 – 1685), lag auf dem Tisch nur der Schutzkarton. Ein Dieb hatte die wertvolle Zeichnung einer "Madonna mit Kind" einfach herausgerissen. Was der Münchner Sammlung seither geblieben war: Ein Eintrag in das Inventar, eine Karteikarte und ein Schwarz-Weiß-Foto. Natürlich wurde sofort Anzeige erstattet. Aber bis vor kurzem ergebnislos.
Der Barockkünstler Sassoferrato hat sich stets an Vorbildern aus der Renaissance orientiert. Hier eifert er der "Madonna Macintosh" von Raffael nach, die heute in der National Gallery in London hängt. Mit schwarzem Stift zieht er sanft die Linien auf ein poröses Papier, das die Striche ein wenig unterbricht. Dadurch erscheint die kostbare Zeichnung besonders mild und hell.
Madonna wurde in den USA entdeckt
Sassoferrato, die Heimatstadt des Künstlers Salvi in der Nähe von Ancona, veranstaltete 2017 eine Retrospektive. In den vergangenen Jahrzehnten wird das Werk des Alten Meisters immer höher eingeschätzt. Die Staatliche Graphische Sammlung in München konnte aus den beschriebenen Gründen nur eine Fotographie ihrer gestohlenen Zeichnung zur Verfügung stellen, die im Katalog abgebildet wurde.
Im vergangenen Jahr nun machte in den USA das Washington County Museum of Fine Arts die wertvolle Erbschaft einer Privatsammlung. Die Kuratoren freuten sich sehr über die wunderbare Arbeit, die sie sehr schnell als Sassoferrato identifizierten.
Madonna wird in der Pinakothek der Moderne gezeigt
Als sie jedoch den Katalog aus Italien zu Rate zogen, entdeckten sie, dass die Zeichnung fast mit dem aus München als gestohlen gemeldeten Blatt übereinstimmte. Fast, weil sich ursprünglich rechts oberhalb der Madonna die Studie einer Hand befunden hatte. Der Dieb hatte versucht, diese verschwinden zu lassen, was ihm aber nicht ganz gelungen ist.
Ende Oktober sind nach 57 Jahren Mutter und Kind wieder in gutem Zustand in München eingetroffen. Die Zeichnung wird bis zum 5. Februar in der Rotunde der Pinakothek der Moderne gezeigt. Danach kommt sie wieder in den Studiensaal der Staatlichen Graphischen Sammlung. In einem neuen Schutzkarton.
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