Propaganda sei mindestens so wirksam wie ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, verkündete kürzlich die Medien-Unternehmerin und mutmaßliche Putin-Geliebte Alina Kabajewa (39). Sie gratulierte anlässlich eines Unternehmens-Jubiläums den unermüdlichen Kreml-Aktivisten auf allen Kanälen. Und die sind in der Tat ziemlich unbescheiden: "Wenn es in Russland noch Menschen gab, die vielleicht in der Tiefe ihrer Seele immer noch glaubten, dass wir den Krieg angefangen haben - jetzt sind sie weg. Jetzt haben die anderen uns angegriffen. Punkt", schrieb zum Beispiel die viel beschäftigte Chefredakteurin des TV-Senders RT ("Russia Today"), Margarita Simonjan, offenbar sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.
"Denken Sie an die Partisanen"
Sie zitiert übrigens auch gern westliche Medien, die sie als Putins Sprachrohr und Fanatikerin beschimpfen, das nimmt sie längst alles als Lob aus "berufenem Munde". Bei den Soldaten bedankte sie sich dafür, dass angeblich "niemand an der Front Fragen hat, gegen wen wir kämpfen". Gleichzeitig reagiert Simonjan dünnhäutig auf Kritik an ihrem höchst zweifelhaften "Journalismus". Dem vielfach geäußerten Vorwurf, die Propaganda habe Putins Politik der Bevölkerung immer noch nicht genug "erklärt", begegnete sie mit dem schmallippigen Hinweis, "Blumentöpfe und verdorrte Weihnachtsbäume" seien halt begriffsstutzig, was wohl auf Kriegsgegner zielte.
Andere russische Propaganda-Blogger der "digitalen Armee" bilden sich etwas auf die "Prise Humor" ein, mit der sie ihre Werbebotschaften nach eigener Einschätzung würzen: "Ja, manchmal scheint es, dass alles keinen Sinn macht. Aber denken Sie daran, wie viel die Partisanen während des Zweiten Weltkriegs erreicht haben, indem sie nur eine einzige Mutter von der Schiene abgeschraubt haben. Wenn Sie das ständig und regelmäßig tun, können Sie die gesamte Strecke zerstören."
"Ach, wie schön doch alles ist"
Tatsächlich sprechen Fachleute und Kreml-Kritiker von einer sehr erfolgreichen "Gehirnwäsche", der die Russen ausgesetzt seien. "Das russische Volk sieht fern und glaubt das alles; mit solchen Erklärungen lässt es sich leicht und einfach leben, ohne groß nachzudenken, und Moskau lebt wie zu Beginn des Krieges auch jetzt noch sein ausschweifendes Leben der Mittelschicht: Restaurantbesuche, Weihnachtszauber, ach, wie schön doch alles ist", so der im deutschen Exil lebende Schriftsteller Viktor Jerofejew (75) in einem Beitrag für die Tageszeitung "Die Welt". Die Kremlpropaganda beherrsche die Kunst, "mit Märchenerzählungen von Russland zu faszinieren und es als Großmacht zu präsentieren, die wie ein Hefeteig ewig aufgeht".
"Es funktioniert leider"
Experten sind sich offenbar einig, dass es sehr schwer ist, Putins leidenschaftliche Anhänger von der Realität zu überzeugen. Kulturwissenschaftler Alexander Etkind verglich die Kreml-Fans in der "Nowaya Gazeta Europe" mit quasi-religiösen Sekten: "Die gegenwärtige russische Propaganda ist von der Realität in ähnlicher Weise getrennt wie die radikalsten Formen der Religion, die gewöhnlich Sektierertum genannt werden, von ihr getrennt sind." Zwar gebe es auch propagandistische Lügen und reine Erfindungen: "Aber häufiger verdrehen sie die wahren Ereignisse auf radikale Weise und entfernen sich vom gesunden Menschenverstand und von jeder Realität."
Grund dafür, dass Putins Slogans auf fruchtbaren Boden fielen, sei das niedrige Bildungsniveau in Russland. Zu Sowjetzeiten habe es lediglich in den Naturwissenschaften und "auf dem Gebiet des Balletts" Spitzenleistungen gegeben. Im Übrigen sei die Propaganda technisch hocheffizient und finanziell üppig ausgestattet: "Es funktioniert leider. Dafür gab es in einer schlecht ausgebildeten und sehr armen Gesellschaft kein Gegenmittel."
"Mangel an Kontinuität begräbt Sekten"
Etkind vergleicht die Putin-Anhänger mit Patienten "unter Hypnose". Einfache Rezepte dagegen gebe es nicht: "Zeit ist der beste Helfer." Auch Gesprächstherapie sei möglich: "Argumentieren Sie rational, versuchen Sie, bestimmte Situationen gemeinsam zu analysieren." Beziehungen zu Freunden und Verwandten abzubrechen, sei nicht hilfreich: "Vermeiden Sie strittige Themen." Der Experte setzt im Übrigen auf die begrenzte Lebenszeit von Putin: "Kontinuität, oder vielmehr Mangel an Kontinuität, ist der Hauptgrund, der Sekten unter sich begräbt, die von einem charismatischen Führer gegründet wurden."
Therapeutin Anna Mowschewitsch dagegen empfiehlt in einem Interview, Propaganda-"Opfer" durch mediale Isolation von ihrem "Trauma" zu heilen, was "lang und mühsam" sei: "Komplette Abschaltung der verrückt gewordenen Medien-Umgebung! Wenn eine Person dadurch mit der Quelle ihres Traumas verbunden ist, darf sie nicht fernsehen, im Internet surfen, nicht zur Arbeit gehen, nicht mit denen kommunizieren, die sich das anschauen - dann wäre alles sinnlos!"
"Sie können sich selbst verlieren"
Als Beispiel nennt Mowschewitsch eine 88-jährige Exil-Russin in den USA, die durch das Satellitenfernsehen zur Putin-Fanatikern wurde. Einen Monat, nachdem ihre Verwandten die Empfangsbox gesperrt hatten, sei die Dame bereit gewesen, "zumindest wieder zuzuhören": "Aber das ist nur der erste Schritt!" Mit der Propaganda sei es wie bei Asthma-Patienten, so die Therapeutin: "Sobald jemand spürt, dass ein Anfall naht, besprüht er sich mit einem Inhalator."
Auch Psychologin Elena Kochnenko rät dringend, sich der Meinung von propagandistisch beeinflussten Verwandten nicht "anzupassen": "Sie können sich dabei selbst verlieren, Ihrer Psyche schaden." Besser sei es, heikle Themen auszugrenzen, Kontakte zu "minimieren" oder ganz einzustellen.
"Wahrheitsgemäße Informationen reichen nicht"
Die russischstämmige Politikwissenschaftlerin Maria Snegowaja, die an der amerikanischen Georgetown-Universität lehrt, behauptet, viele Russen unterstützten aus psychologischen Gründen "jeden Krieg": "Das ist ein Ersatz für ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gemeinschaft, das sie nicht haben." Daran könne die Kreml-Propaganda anknüpfen: "Daraus können wir ableiten, dass wir es natürlich nicht nur mit Propaganda zu tun haben, sondern mit Propaganda in Kombination mit den Ansichten und Einstellungen, die die Russen in der Sowjetzeit geformt haben. Darüber hinaus fällt in den Studien eine interessante Tatsache auf, nämlich dass wahrheitsgemäße Informationen allein leider nicht ausreichen, um die Einstellung der Russen zum Krieg zu ändern."
Allein mit dem Zugang zu "unabhängigen Medien" werde sich in Russland daher noch nicht allzu viel ändern. Zu viele Russen identifizierten ihre eigenen Interessen vollkommen mit denen des Staates: "In der Propagandawelt widersetzt sich Russland dem absoluten Bösen, dem Faschismus, kämpft gegen den heimtückischen Westen, der versucht, die Grundlagen der russischen Staatlichkeit zu untergraben. Daher ist es in dieser Welt sehr bequem und es ist angenehmer, daran zu glauben als an die Realität."
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