Man sieht das Werk "All mining is dangerous", eine Kooperation des indonesischen Kollektivs Taring Padi und von Just Seed (Portland).
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Das Werk "All mining is dangerous", eine Kooperation des indonesischen Kollektivs Taring Padi und von Just Seed (Portland) bei der documenta

    Ist die documenta eine activista?

    Auf der Weltkunstschau in Kassel ist ein neues antisemitisches Werk des Aktivisten-Kollektivs Taring Padi entdeckt worden. Und ein Brite, der dort ausstellt, macht mit Hassreden auf sich aufmerksam. Sollte die documenta jetzt besser activista heißen?

    Als kurz nach Eröffnung auf dem Friedrichsplatz in Kassel, also an zentraler Stelle der documenta, eindeutig antisemitische Motive auf dem Wandgemälde "People’s Justice" präsentiert wurden und dieses Banner nach Protesten gegen diesen im Wortsinn zur Schau getragenen Judenhass umgehend deinstalliert werden musste, kommentierte der Publizist Sascha Lobo dies am 22. Juni mit den Worten: "In Kassel findet seit ein paar Tagen die bedeutendste deutsche Kunstschau ʹantisemita fifteenʹ statt."

    Natürlich war das polemisch, aber es enthielt einen nur allzu wahren Kern, wie weitere Enthüllungen auf der "documenta fifteen" in Kassel zeigten. Anfang dieser Woche erst wurde bekannt, dass das indonesische Aktivisten-Kollektiv Taring Padi ein weiteres Bild mit antisemitischer Bildsprache ("All Mining Is Dangerous" (2010)) offenbar stillschweigend teilweise überklebt hat: Man sieht darauf hämisch grinsende Personen mit Geldsäcken, wulstigen Lippen und einer Kippa. Diese Kopfbedeckung ist nun durch ein schwarzes Klebeband verdeckt. Für das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), das diese Entdeckung öffentlich gemacht hatte, ist diese Darstellung "offen antisemitisch, daran gibt es nichts rumzudeuten".

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    Kritisierter Ausschnitt des Bildes "All mining is dangerous". Bei der linken Figur ist über dem Kopf der kaschierende Klebestreifen zu sehen

    Palästinensisches Propaganda-Material

    Die Zahl der zutiefst fragwürdigen Fälle wächst und wächst: Die Aktivistinnen-Gruppe "Archives des luttes des femmes en Algérie" legte im Fridericianum eine Broschüre aus, in der altes antiisraelisches und propalästinensisches Propaganda-Material von 1988 versammelt ist. Die darin enthaltenen Zeichnungen des syrischen Künstlers Burhan Karkoutly (1933-2003) und des 1987 erschossenen palästinensischen Karikaturisten Naji al-Ali zeigen israelische Soldaten in Darstellungen, die antisemitistische Stereotype bedienen: hakennasig, roboterhaft, mit Davidstern auf dem Armeehelm, rohe Gewalt gegen palästinensische Frauen und Kinder ausübend. Das algerische Kollektiv freilich sprach von "Fehlinterpretationen" und gab in der anschließenden "Kontextualisierung" die seiner Meinung nach einzige richtige Lesart vor: Es handele sich dabei allein um eine "Kritik an der israelischen Besatzung".

    Hamja Ahsan und seine Hassreden auf Social Media

    Mohammad Al Hawajris Zyklus "Guernica Gaza" zieht als eine der umstrittenen Arbeiten der documenta Parallelen zwischen dem deutschen Luftangriff auf Guernica 1937 und Israels Siedlungspolitik im Gaza-Streifen, wo das 1976 geborene Mitglied der Gruppe "Eltiqa" lebt. Restauriertes Propaganda-Video-Material, "militantes Kino" der linksradikalen Terror-Organisation "Japanische Rote Armee" (JRA), die die "antiimperialistischen Solidaritätsbeziehungen" mit der palästinensischen Befreiungsbewegung betonten, stellt die Gruppe "Subversive Film" aus. Auf das Konto der JRA geht ein Massaker am internationalen Flughafen von Tel Aviv, das 1972 26 Menschenleben forderte. Hinzu kam in den vergangenen Tagen der Fall des britischen BDS-Sympathisanten Hamja Ahsan, der auf Twitter unter dem Hashtag #FreePalestine u.a. fordert, dass die Bewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) den Friedensnobelpreis erhalten solle. Deutschland bezeichnet der documenta-Künstler als die „rassistischste und bedrohlichste Nation, in der ich als Künstler jemals gearbeitet habe“. Den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, der früh bekannt gegeben hatte, die documenta aufgrund der Antisemitismus-Vorwürfe nicht besuchen zu wollen, beschimpfte Ahsan am 7. August auf Facebook als „neoliberales faschistisches Schwein“. Das hatte zunächst der hessische Landtagsabgeordnete Stefan Naas (FDP) und gestern die Bild-Zeitung skandalisiert. Auf Twitter bedankte sich Ahsan für die ihm so zuteil gewordene Aufmerksamkeit: "Thank you to the Bild for making me the most famous British artist in Germany right now. Progressive media can interview me views thoughts: hamjaahsan@gmail.com."

    Jürgen Klopp als Manager der documenta 15?

    Der 41-jährige Ahsan steht stellvertretend für den dominierenden Künstler-Typus dieser documenta: Er ist ein Aktivist, der ein politisches Anliegen mit seinen Kunst-Aktionen verknüpft. Mal sieht er sich als "introvertierter Aktivist", mal als "kreativer Aktivist". Seinen missionarischen Geist versucht er durch einen etwas plumpen Humor zu kaschieren: In Kassel sind lauter fiktive muslimische Variationen von Leuchtreklamen der Schnellimbiss-Kette "Kentucky Fried Chicken" zu sehen, von "Kaliphate Fried Chicken" bis "Kabul Fried Chicken". In seiner Geburtsstadt London soll es eine Zeit lang das Gerücht gegeben haben, wonach über die KFC-Imbisse dschihadistische Kämpfer rekrutiert worden seien. Auf der documenta-Website liest man dazu, es gehe Ahsan darum, ein Zeichen gegen "Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit" zu setzen: "Ahsan setzt ein eigenes Universum konkurrierender Halal-Frittierhähnchenimbisse in die Welt. Seine Franchise-Unternehmen sind ausgerüstet mit LED-Beschilderung." In ironischer Anspielung auf die "Volksfront zur Befreiung Palästinas", PFLP, wirbt ein Schild Hamja Ahsans für die "PFLFC": "Popular Front for the Liberation of Fried Chicken". Auf Twitter sparwitzelt Ahsan im Trikot des FC Liverpool, der Fußball-Trainer Jürgen Klopp könne doch neuer "Manager" der documenta 15 werden. Dieser "ehrenwerte Mann" immerhin boykottiere Boulevard-Zeitungen wie die "Sun", das britische Pendant zur deutschen "Bild", welche Ahsan als "faschistisch" und "rassistisch" bezeichnet.

    Benötigen „scheue Radikale“ eine Bundesförderung?

    Ahsan hat 2017 das Buch "Shy Radicals. The Antisystemic Politics of the Militant Introvert" veröffentlicht. Die Documenta erklärt dazu, Ahsan entwerfe darin "die Utopie einer politischen Bewegung für ruhige, schüchterne, unbeholfene und autistische Menschen gegen eine neurotypisch extrovertierte hegemoniale Weltordnung". Ob dieser radikale Aktivismus zielführend ist, darf bezweifelt werden. Polarisiert er doch extrem und konterkariert so die von der documenta gebetsmühlenhaft wiederholte Dialogbereitschaft der Künstlerinnen und Künstler. Die Union hat unterdessen heute anlässlich weiterer Antisemitismusvorwürfe gegen die documenta einen vorläufigen Stopp der Bundesförderung für die Kunstausstellung gefordert. "Auf der documenta wird jeden Tag eine neue Grenze überschritten", sagte die Vizevorsitzende der Bundestagsfraktion, Dorothee Bär (CSU), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland: "Für systematischen Israelhass und Antisemitismus darf es keinen einzigen Euro Bundesförderung mehr geben. Stattdessen muss die Bundesregierung endlich eine ausführliche Aufklärung sicherstellen. Stellt die Regierung die finanzielle Förderung nicht vorerst ein, muss sie erklären, wieso man BDS-Befürworter mit Steuergeld alimentiert", sagte Bär. Die documenta sei längst zur Belastung für die Bundesrepublik geworden. Der hessische Landtagsabgeordnete Stefan Naas schrieb heute auf Twitter: "Es braucht jetzt eine klare Haltung, wenn man die #Documenta und den Standort #Kassel halten möchte! Wenn Künstler gegen unsere Institutionen hetzten, ist das keine Bagatelle!"

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